Ich habe in einer meiner ersten Musical-Kritiken für die „Presse“ einmal die Belting-Qualitäten einer Darstellerin gelobt. Die Sängerin hat die Kritik auf Facebook geteilt, darunter stand ein Posting, das (in etwa) gemeint hat: „Na toll, jetzt definiert ‚die Presse‘ schon, was Belting ist“. Abgesehen davon, dass dieser Ausdruck in einer General-Interest-Zeitung vielleicht wenig angebracht ist, ist „Belting“ nun mal ein umstrittener Begriff. Weil es unzählige Definitionen bzw. Klänge gibt, die von einzelnen als „Belting“ identifiziert werden. Dabei glaube ich, dass sich die Sänger:innen und Coaches dieser Welt gar nicht soooo uneinig sind, wenn es um das Zentrum des Klangs geht: den lauten, klaren, Belting-Sound. Die Rede ist von einem klaren, lauten, metallischen Klang, der für Musicals (und Disney-Prinzessinnen) und im lauten Rock/Pop ebenso typisch ist. „Let it Go“ lässt grüßen. Nicht umsonst bedeutet das englische Wort „Belting“ so etwas Ähnliches wie „Schmettern“.

Bruststimme/Metallischer Sound/M1
Manche würden Belting vielleicht als „hochgezogene Bruststimme“ bezeichnen – wobei in diesem Ausdruck immer etwas herablassendes („gefährliches, verbotenes“) mitschwingt – aber das ist pure Semantik. Und die ganze „Register“-Sache ist ohnehin sicher 17 weitere Blog-Einträge wert… Aber ja: wir reden hier definitiv NICHT von Kopfstimme/Falsett(o)/Stiff Folds/M2/… Wir reden anatomisch gesprochen von auf (eher) voller Länge mit viel Masse schwingenden Stimmbändern mit hoher Kontaktquote innerhalb einer Schwingung, im puren, rohen (?) Belting-Klang. Manche würden das im Bereich der „Bruststimme“ verorten. Im Englischen gibt es hier noch die Terminologie „M1“ (Mechanism 1). Aber „Belting“.
„Belting“ ist ein Sound, den wir im Alltag oft einsetzen. „Schreien“ hat einen negativen Beigeschmack als Sänger:in, niemand will so klingen, als würde er schreien. Der Vergleich mit „laut rufen“ klingt da schon besser. Denn es ist tatsächlich so, dass der Klang einem lauten Rufen ähnlich ist – wenn wir etwa eine weite Distanz oder laute Hintergrundgeräusche übertönen müssen. Du beobachtest zum Beispiel aus dem Fenster, wie jemand dein Fahrrad stiehlt und du rufst laut, damit dich der Dieb hören kann: „Heeeeey“ – Welcome to Belting-Land. Ich habe oft erlebt, dass beim Singen eine Scheu vor Lautstärke besteht, dass es ungewohnt ist, laut zu singen. Vor allem: man hört sich selbst schließlich noch einmal lauter, als es der Zuhörer tut. Klar: laute Töne erfordern Übung, Kraft an den richtigen Stellen (!) und eine gute Selbstkontrolle. Aber in angenehmer Lage kann jede(r) rasch den Sound erlernen und sich herantasten. Aber ihn in die Let-It-Go-Höhen treiben, das erfordert dann (für viele) langjährige Übung und Ausbauen der Range in diesem Mode. Für manch andere ist es wiederum die einfachste Klanggebung auf der Welt.
Und ein technisches Missverständnis möchte ich hier noch kurz anreißen… Laute, metallische Töne (oder eben „Belting“) brauchen zwar Power, aber deswegen nicht unbedingt mehr Luft. Denn der Klang erfordert eben, dass die zwei Stimmbänder eine hohe Kontaktquote haben, das heißt sie sind relativ lange zusammen und öffnen nur kurz während eines Schwingungszyklus. Ich brauche zwar ein bisserl einen Druck unter den Stimmbändern, um den Klang zu erzeugen (sonst können die Stimmbänder in dieser Dicke und Kürze auch gar nicht angenehm schwingen) und die Lautstärke tragen zu können, andererseits entweicht nur wenig Luft. Zum Vergleich: Halte deine Hand vor deinen Mund und singe einen hauchigen, leisen Ton. Du wirst den Luftstrom fühlen. Jetzt rufe laut (und „böse“) „Hey“ und ziehe den Ton ein wenig in die Länge: Außer vielleicht beim „H“ wirst du kaum die Luft während des Tons spüren. Es gilt beim Belten – bzw. beim Singen von metallischen Tönen – eine gute Balance beim Support-Energie/Luftzurückhalten zu finden. Sonst kann man durchaus schnell heiser werden, wenn man die Luft sozusagen durch die Stimmbänder durchpusht, bzw, die Stimmbänder in der Verschlussphase enorm kämpfen müssen, dem Druck von unten aus der Lunge standzuhalten. Ein schmaler Grat, der eben auch Übung erfordert.
CVT vs. Estill – weil ich’s einfach spannend finde
In der Terminologie-Welt der Complete Vocal Technique war „Belting“ früher einmal sogar der Name eines der vier Modes, wurde aber dann aufgrund der häufigen Diskussionen darüber – weil eben unterschiedlich vorgeprägt und umstritten – in „Edge“ umbenannt. Wobei ich persönlich auch Overdrive-Töne als Belting identifizieren würde. (Eben, da könnte man jetzt schon diskutieren….) Aber das nur so als Nebensatz für alle, die sich mit CVT-Terminologie ein bisschen auskennen – man sieht: Belting kann man immer unterschiedlich wahrnehmen, so wie ja auch jeden CVT-Mode… Aber ich schweife ab.
Edge und seine Vokale
Wie immer beschreibt CVT abgesehen von den anatomischen Komponenten und einem spezifischen Vokaltraktsetting auch das Hörbare. Bei Edge reden wir von einem „vollmetallischen Mode“. Nicht jede:r kann gleich etwas mit dem Begriff anfangen. Der Begriff „metallisch“ beschreibt lediglich den Klang, den klaren, evtl. etwas scharfen, von viel Twang geprägten Sound. Auch der Mode „Edge“ hat eigene Vokalregeln (im Gegensatz zu Estill, wo Vokale formal nicht Regeln unterworfen sind, Belt-Übungen aber natürlich ebenso wenig mit „Uh“ oder „Ah“ gestartet werden – Akustikregeln gelten eben immer).
Wer sich an die Grenzen seiner Komfortzone wagt und dabei in Edge bleiben möchte, wird sich instinktiv ohnehin eher an die Vokale Äh (Ähre), Eh (Yay), Ee (Eber), Ö (Öl) halten und versucht’s wohl nicht mit einem U (Uhu). Dementsprechend werden auch gerne alle Edge-Vokale dezent in diese Richtung/Zungenposition geschoben. Um bei Idina Menzel zu bleiben, die in der englischsprachigen Fassung von Frozen „Elsa“ synchronisiert. Im Hit des zweiten Frozen-Films, „Into The Unknown“, singt sie drei Mal genau die Wörter des Titels. Beim dritten Mal ist das Intervall und der Zielton auf „known“ höher, um die Belting-Qualität des Tons zu halten, wechselt sie den Vokal dezent in Richtung „Into The Unknä(un)“. Zu hören hier im Live-Video von der Oscar-Verleihung 2020 ab Minute 1.17.
Das heißt nicht, dass man nicht klar artikulieren sollte, aber was Zungenposition angeht (eine hohe Hinterzunge hält eben auch den Kehlkopf hoch, was für Edge wichtig ist – und hilft beim Twang), sollten wir uns vor allem beim Üben und Entdecken von Edge an die oben genannten Vokale halten. Sitzt der Mode, dann können wir uns auch ein bisschen weiter in die Vokal-Welt vorwagen (so weit es halt geht, ohne dass es die gesunde Tonproduktion beeinflusst).
Belt als eine der Estill-Sound-Qualities
Auch in Estill Voice Training gibt es „Belt“ als eine der sieben Sound-Qualitäten. Und wenn ich mir da einen Vergleich erlauben darf (auch wenn es da sicher qualifiziertere Leute gibt, als mich… aber ich habe immerhin zwei Drittel meiner Ausbildung als CVT-Coach hinter mir und zwei Level-One- und einen Level-Two-Kurs in Estill Voice Training absolviert): Estill beschreibt in ihrem „Belt“-Konzept ein ganz ähnliches Setup wie CVT für Edge, einige der Zutaten dabei:
– Viel Stimmband-Kontaktfläche („thick vocal fold body“)
– verengter Kehlkopftrichter („Twang“, der aber in Estill eine eigene „Sound-Quality“ darstellt, dort spricht man vom „AES“, dem verengen/weiten des „Aryepiglottic Sphincters“ – es läuft für uns hier jetzt einmal auf dasselbe hinaus)
– hohe Kehlkopf-Position
– hoher, breiter Zungenrücken (Kehlkopf und Zunge sind ohnehin immer im Zusammenspiel)
– hohes Gaumensegel (im Estill-Kontext geht es hier aber lediglich um das Verschließen des Nasengangs. Belting ist im Estill-Konzept also nie nasal, der Luftstrom geht immer ausschließlich durch den Mund. In CVT würde man unter hohem Gaumensegel etwas anderes verstehen, nämlich die „Gähnposition“, die wäre für Edge bzw. Belting aber eher hinderlich…)
Und dann gibt es noch ein Estill-Unikum als Teil von „Belting“, den…
– Cricoid-Tilt: Also das Kippen des Ringknorpels (der untere Kehlkopfknorpel), was die kleine Lücke zwischen Schild- und Ringknorpel vergrößert und die Stimmbänder kurz (und dick) hält. Ein Punkt / eine anatomische Bewegung, der/die in CVT überhaupt nicht diskutiert wird – sofern es den Cricoid-Tilt überhaupt gibt, er wurde in den letzten Jahren immer wieder heiß diskutiert bzw. angezweifelt in dieser Form. Dazu hab ich euch am Ende noch zwei Videos eingebettet. Ich für mich kann nur sagen: Nichts Genaues weiß man nicht. Und aktiv hatte ich zumindest nie das Gefühl, dass ich den Ringknorpel irgendwie bewusst ansteuern könnte… da fehlen mir die Ideen bzw. Tools von Estill-Seite zur Umsetzung. Aber da hat ja vielleicht jemand auch schon andere Erfahrungen gemacht und überzeugt mich noch… 🙂
Mix-Belt, Head-Belt, Whatever-Belt
Soweit aus „meiner“ System-Welt der Gesangstechniken, mit denen ich mich beschäftigt habe. Es gibt natürlich noch die Fraktion derjenigen, die ihre Stimme gleich in mehrere „Belts“ einteilen: „Mix-Belt“, „Speech-Belt“, „Full-Belt“ oder was weiß ich 🙂 Wie ihr merkt, es gibt unendlich viele Abwandlungen. Und wenn ein Vocal Coach diese lehrt und Sänger:innen verstehen, was gemeint ist, und einen „Mix-Belt“ umsetzen können und wollen – super! Solange der Klang gesund und so gewünscht ist bzw. Sänger:in und Coach dieselbe „Sprache“ sprechen, ist doch immer alles prima! Das ist das Wichtigste. Und über „Mix-Belt“ mach‘ ich vielleicht mal einen Extra-Blogeintrag, bevor ich hier vom Hundertsten ins Tausendste komme. Denn da hab ich natürlich auch mein eigenes Rezept dafür… also technischer Natur 🙂
Wie ihr seht: Ein Klang ist nicht immer nur eine Schublade. War das ein Belting-Ton mit ein bisschen mehr Zurückhaltung und dunklerer Klangfarbe? Vielleicht war es ein Ton, der vom Setting der Stimmbänder her eher von der Kopfstimme kommt und mit Twang und Klangfarbe fast schon wie mittellautes Belting klingt? Die Definition im Nachhinein spielt fast keine Rolle. Wesentlich ist die Definition beim Erlernen. Wenn jemand in meine Stunden kommt und sagt: „Ich will belten!“, dann werden wir erst durch Hörbeispiele oder meine Klangbeispiele herausfinden, was der/die Sänger:in damit meint. Und meistens wird es eine Abwandlung des Idina-Menzel-Musical-Sounds sein. Aber vielleicht nicht immer. („so ähnlich, aber nicht so schrill, bitte“) Und doch glaube ich, dass sich 90 von 100 Gesangslehrern einig sind, dass Idina Menzel eine der Belting-Queens ist. Und mehr Übereinstimmung gibts in dieser Branche nicht… haha. Ob’s gesund ist? Da wird man schon wieder unterschiedliche Dinge hören. Ich sage: Wenn der Klang sicher und achtsam erlernt wird und etwaige Warnsignale nicht ignoriert werden, dann ist der Belting-/Edge-Sound genauso gesund wie jeder andere Klang.
Und somit: Vielen Dank fürs Lesen, lasst mir Kommentare da, falls euch was auf der Zunge zum Thema liegt! Vielleicht geht sich auch einmal ein Blogeintrag mit konkreteren Übungen zu dem Thema aus. Schließlich ist „hohe Töne powervoll singen können“ sicher einer der meistgehörten Wünsche eines Gesangslehrers und Vocal Coachs. Schönen #vocalfriday und schönes Wochenende!
Videos zum Thema Kippen des Ringknorpels / Cricoid-Tilt
Hier noch die versprochenen Youtube-Videos zum Thema „Ringknorpel-Kippen“ im Belten. Es ist ein bisschen nerdy…! Zuerst: Naomi Eyers von „Essential Voice“ sagt „Yes, the Cricoid can tilt“ erklärt die Anatomie von Belting, was der Cricoid-Tilt ist und gibt auch kurze Sound-Beispiele für den Belting-Klang. Auch ein Estill-Video mit Blick auf den Kehlkopf von oben ist dabei. (Für mich von der Perspektive her aber schwer zu sagen – und ich habe schon viele Kehlkopf-Laryngoskopien dieser Art gesehen…)
Kritik am Ringknorpel-Tilt: Sollte etwas gelehrt werden, was anatomisch nicht wirklich belegt ist? Diese Frage stellt Gillyanne Kayes, deren Bücher und Podcasts ich persönlich sehr schätze.
Coming up on Vocalfriday #04
Übers Üben
Es ist nicht überraschend, dass Übung nun mal „den Meister“ macht… Wieder soetwas, wo sich die Gesangslehrer:innen-Zunft wohl einig ist…. Dementsprechend wichtig ist es, „richtig“ zu üben. Dieses „richtig“ ist – wie immer – abhängig von der jeweiligen Person, aber es gibt natürlich einige Grundregeln. Darüber – und über das Überwinden des inneren Schweinehunds – schreibe ich nächste Woche.
am 23.7. hier im Blog
2 Kommentare zu „#03 Belting – ein Sound, viele Diskussionen“