#04 Übers Üben

Üben und Lernen durch Musikmachen. Klar, das ist der Idealfall. Aber manchmal muss es vielleicht auch ein bisschen strukturierter sein. Manchmal. Vielleicht. Ein bisserl! Und auch Sänger:innen müssen/dürfen/sollen viel üben, denn neue Fertigkeiten lassen sich leider nicht ins Gehirn per Update laden – Surprise! Heute geht’s im Vocalfriday-Blog um Tipps für mehr Motivation und bessere Kontrolle über deinen Fortschritt.

Also erst einmal unter uns: Ich bin garantiert kein Übe-Weltmeister. Ich habe ja auch lange Musik eher nebenbei gemacht. Meine Klavierlehrerin an der Musikschule quälte sich die letzten Jahre mit mir ob der nur zähen Fortschritte bei Beethoven und Rachmaninow. Nur im Buch „Rock Piano 2“ von Jürgen Moser – das Notenbuch kann ich immer noch nur empfehlen – habe ich mich sogar freiwillig zu Hause an neue Stücke gewagt – und sogar brav linke und rechte Hand getrennt geübt und mich an ganz schwierige Stellen langsam herangetastet. In dem Fall (zu dieser Zeit), war es wohl das Genre, das mich mehr motiviert hat. Ein Faktor, den dann auch meine Klavierlehrerin dankenswerterweise erkannt hat.

Aber das ist ja wohl ein Tipp der Marke „Captain Obvious“: Tu, was dir Spaß macht. Setze dir Ziele aus eigenem Antrieb. Aber was, wenn du plötzlich Spaß daran hast, Effekte wie Distortion an manchen Stellen in deinem Lieblingssong einzusetzen? Einfach so wird’s vielleicht nicht so funktionieren, wie du dir das vorgestellt hast. Also: Üben. Und zwar regelmäßig. Es muss vielleicht jeweils nicht lange sein. Aber zwei Dinge sind unbedingt zu beachten: Nicht „falsche“ Technik immer und immer wieder wiederholen! Und: das Training dennoch so musikalisch-abwechslungsreich wie möglich gestalten. Bäm. Das Schlüsselwort lautet jedenfalls: Muskel-Gedächtnis! Und wie das funktioniert, das erkläre ich dir hier.

Die Drei-Mal-Regel. Mach’s dir nicht zu schwer.

Wichtig: Unser Muskelgedächtnis braucht Routine, damit es richtige Abläufe jederzeit wieder abrufen kann. Damit ist gemeint, dass deine Muskeln, die du zum Singen benötigst, die Bewegungs- und Koordinierungsabläufe automatisieren müssen. Einfach nur vier Mal über eine schwierige Stelle – vielleicht auch noch stimmlich angestrengt – drübernudeln macht vielleicht heiser, aber den Sound nicht besser. Also, wichtige, erste Übe-Regel: Eine Übung/Phrase solltest du zumindest drei Mal richtig / zufriedenstellend / gut wiederholen.

Ein Beispiel: Du willst also den Effekt Distortion lernen und probierst das auf einzelnen Tönen aus. Klappt es beim ersten Mal (und es hat sich gut und richtig angefühlt), wiederhole die Übung. Bei Versuch zwei und drei bist du erneut zufrieden: super! Dein Gehirn und dein Kehlkopf haben dazugelernt.

Das Problem beim Üben könnte aber sein: Das Muskelgedächtnis arbeitet auch „gegen uns“ – etwa, wenn es uns eben nicht gelingt, den Übe-Ton sauber/gut/gesund zu singen. Das Gehirn und die Muskeln merken sich auch die nicht idealen Abläufe und gehen davon aus, dass das eben die Art ist, wie du die Stelle singen magst. Wenn du also drei Mal den Distortion-Ton verkrampft mit Engegefühl und echtem Kratzen im Hals gesungen hast, dann ist das nicht Üben. Du wirst keinen Fortschritt erzielen, sondern dir lediglich „falsche“ Abläufe einlernen.

Was dann? Mache die Übung leichter! Das kann in unserem Distortion-Beispiel bedeuten: wähle einen tieferen Ton (oder höher – manchmal auch leichter…), einen anderen, weil für dich einfacheren, Vokal, einen dir angenehmeren Mode vielleicht? Bei anderen Zielen kann es auch das zu reduzierende Tempo sein, natürlich. Gelingt dir hier die Umsetzung? Ja? Gut! Dann wiederhole noch zwei Mal. Hats drei Mal zu deiner Zufriedenheit geklappt? Prima, dann kannst du wieder einen Halbton höher/tiefer üben – also den Schwierigkeitsgrad leicht erschweren.

Das ist also die Drei-Mal-Regel. Klappt’s drei Mal ist die Ampel Grün für Weiteres. Klappt’s auch beim dritten Mal nicht? Dann mach die Übung einfacher und starte noch Mal.

Das gilt natürlich auch für ganze Phrasen, die bisher vielleicht nicht so gut funktioniert haben. Timing, Atemnot, Kieferspannungen, was weiß der Kuckuck, was alles 🙂

Und da kommen wir also noch zum zweiten Teil meiner Gedanken zum Thema Üben. Plane deine Übungseinheiten im doppelten Sinne. Wann in einer Woche kannst und wirst du üben? Trage dir die Einheiten (und auch die angestrebte Dauer) in deinen Kalender ein. (Und schreib – wenn dir so etwas liegt – ein Übe-Tagebuch, wo du einträgst, womit du deine Übezeit verbracht hast und was dir so dabei aufgefallen ist oder was du gelernt hast.) Du übst also drei Mal in der Woche eine halbe Stunde? Super, das bringt dich doch schon ein ganzes Stück weiter. Vielleicht liegt es dir eher, jeden Tag nur zehn Minuten zu üben? Auch gut – probier aus, was dir gut tut!

Planungstipp: Achte auf die richtige Mischung. Wechsle kurze Einheiten mit Technikübungen oder wirklich konzentriertem Üben einer Phrase (langsamer, auf Vokal oder was halt ansteht) mit musikalischen Einheiten ab, in denen du nicht ganz so mit den Mühen des Neuen geplagt bist. Für eine 30 minütige Einheit so grob: 10 Minuten fokussiertes Üben von Neuem/Schwierigem, 10 Minuten Wiederholen von zuletzt Erlerntem (vielleicht geht das ja auch in musikalischem Kontext), 10 Minuten pure Musik, in der du dich wohlfühlst und dich nicht hinterfragst. Und bei den letzten zehn Minuten singe, was dir Spaß macht – ohne über dich zu urteilen, auch wenn die eine Stelle vielleicht jetzt daneben gegangen ist und du in „alte Muster“ verfallen bist. Hab` Spaß und probiere aus. (Die ganz neuen und schweren Songs kannst du dabei vielleicht ja ein bisschen tiefer machen zum Beispiel.)

Planung und leicht verdaubare Häppchen

Also zusammenfassend:

  1. Übe langsam, zerlege die Stellen in die wesentlichen Elemente. Mach’s dir in deinen Übungen nicht zu schwer (aber auch nicht zu leicht), beachte die Drei-Mal-Regel. Das gilt für jede Übung: ob Riffs/Runs, Vibrato, Melodien. Immer schön langsam. So kannst du auch deinen Lernfortschritt immer gut festhalten.
  2. Plane deine Übe-Einheiten vor jeder Woche genau (und schreib‘ sie in deinen Kalender). Und notiere dir nicht nur, dass du übst, sondern auch grob was du übst. („Die eine Stelle in ‚Let It Go'“, Distortion, dunkle Klangfarbe, …)
  3. Vergiss nicht, intensive Übe-Phasen gut mit eher musikalischen Einheiten, in denen du dich nicht ständig selbst beurteilst und bewertest abzuwechseln. Die Mischung machts. Bzw. transponiere schwere Songs ein bisschen hinunter für’s Erste, dann kannst du dich leichter in die Musik „fallen lassen“ und Erlerntes rascher umsetzen (ohne dass du dein Muskelgedächtnis dabei evtl. „falsch“ programmierst)

Wie übst du am liebsten? Was hilft dir dabei, dich aufs Wesentliche zu Fokussieren? Schreibst du vielleicht sogar ein Übe-Tagebuch? Jede(r) geht die Sache ja anders an und braucht andere Impulse… Hinterlass‘ einen Kommentar oder frag nach, wenn ich helfen kann! Schönen #vocalfriday! …und natürlich schönes Wochenende!

Coming up on Vocalfriday #05

„Dude, you’re flat!“ Wer „schlecht“ intontiert, muss ein „schlechter“ Sänger sein!
Für viele ist es die größte Sorge, „schlecht“ bzw. „falsch“ zu singen? Doch wo fängt „falsch singen“ an? Was macht es mit unserem Gehirn? Warum ist ein Urteil wie dieses immer noch die „größte Beleidung“ für Sänger:innen? Und kann man Intonation lernen? (#spoilarert: Ja!)

am 30.7. hier im Blog

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

3 Kommentare zu „#04 Übers Üben

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: