#09 Endlich wieder Kopenhagen: Flugzeugpanne, Distortion und Growth-Mindset

Kopenhagens Nyhavn zur Golden Hour. Essen gehen empfiehlt sich preistechnisch dann doch lieber ein paar Mal um die Ecke 🙂 (c) vocalfriday

Für meine Ausbildung zum autorisierten CVT-Lehrer absolviere ich eine drei Jahre lange Ausbildung – sechs Mal in einem Schuljahr finden vier Tage Workshops statt. Und das in Kopenhagen bzw. pandemiebedingt seit März 2020 online. Am vergangenen Wochenende habe ich mein 13. von 18 Seminaren absolviert – endlich wieder in Dänemark. Denn, das muss man wirklich sagen, das Complete Vocal Institute ist mehr als ein Haus, Forschungseinrichtung und Administration. Es ist ein Feeling. Es ist ein Treffpunkt für Gleichgesinnte aus der ganzen Welt. Dieser Spirit überstrahlt alles. Also möchte ich diesmal in meinem Blog ein bisserl von meiner Reise erzählen – frei nach dem Motto: „Mein schönstes Ferienerlebnis“, diese Aufsatz-Kategorie habe ich schon in den mittleren 1990er-Jahren gerockt.

Wenn du in Wien abhebst und 70 Minuten später wieder in Wien landest

Begonnen hat die Reise mit einer Panne. Nach dem Musicalkonzert am Donnerstag in Wiener Neustadt, bin ich Freitagfrüh mit dem ersten Railjet zum Flughafen. Mein Flug hob pünktlich um 7.20 ab, nur um gegen 9.20 Uhr ebendort wieder zu landen. Hoch über der deutsch-tschechischen Grenze meldete sich der Kapitän mit „schlechten Nachrichten“ zu Wort: Sprung in der Windschutzscheibe, man habe „alles unter Kontrolle“, müsse aber zurück nach Wien. Yay. Der Plan, um 10 Uhr im Workshop am CVI in Kopenhagen zu sitzen ist mal nicht aufgegangen… An diesem Tag waren „Testsingers“ bei uns in der Gruppe zu Gast, die sich von uns erst drei Stunden lang CVT im Überblick erklären lassen und am Nachmittag dann in einer Masterclass selbst unter Anleitung von uns CVT-Trainees die Technik anwenden. Ich habe es dann mit erfolgreichem zweiten Start-Versuch pünktlich zum Lunchbreak um 13 Uhr in die Kopenhagener Innenstadt geschafft.

Am Nachmittag war also One-on-one-Teaching angesagt mit den Testsänger:innen. Ich mag das sehr, aber es ist auch eine Herausforderung – denn man hat nur rund 20 Minuten Zeit, den/die Sänger:in kennenzulernen, herauszufinden, was er/sie für Wünsche hat für diese Zeit, und dann im Idealfall relativ rasch einen richtigen Ansatz zu finden, ihn/sie ans Ziel zu bringen. Manchmal gibt’s natürlich schöne Aha-Momente und alle im Raum jubeln und feuern an, manchmal sind es tiefer sitzende Dinge, die jemanden vom Ziel „frei zu singen“ abhalten und man kann in 20 Minuten nur Lösungsansätze aufzeigen oder auffrischen. Und da man ja von der Gruppe beobachtet wird und am nächsten Tag von den CVI-Lehrern Feedback bekommt, will man das schon gut machen. Ich neige dann ja eher zum „überdreht“ sein, also: ich rede tendenziell zu viel und verliere manchmal den Fokus, biete fünf Ideen auf einmal an, anstatt konsequent einen Tipp nach dem anderen auszuprobieren. Diesmal lief es aber eigentlich ganz gut.

Effekte finden und üben

Im dritten Jahr steht technisch die Perfektion der Effekte auf dem Programm: Distortion, Grunt, Rattle, Growl, Creaking müssen beherrscht werden. Im Idealfall in allen Klangfarben, mit allen Modes. Klingt intensiv? Ist es auch. Zu manchen Effekten findet man eher leichter Zugang. Bei mir ist es Rattle zum Beispiel. Manchmal bekomme ich nur Rattle hin, obwohl ich eigentlich Distortion demonstrieren will… Und Growl (der Louis Armstrong-Sound) ist so gar nicht meins… Aber das darf ich mir erst gar nicht einreden. Auch ich kann lernen, den Growl sauber und gesund aus meinem Vokaltrakt zu quetschen. I can do it! Mit den richtigen Tools und vielleicht mit kleineren Fortschritten.

Und weil wir schon dabei sind: In einer Einheit war auch „Selbstvertrauen“ Thema, bzw. „Mindset“. Je älter ich werde, desto mehr Beachtung schenke ich diesen Themen. Früher war für mich vieles selbstverständlich, bzw. habe ich mich nicht so viel hinterfragt. Aber sich damit zu beschäftigen, was einem Selbstvertrauen gibt und nimmt (auf der Bühne aber auch beim Unterrichten), ist unglaublich lehrreich. Und generell mehr auf „Growth Mindset“ zu fokussieren – in der Sprache als Coach, als Sänger, als Individuum erscheint mir äußerst hilfreich. (Ich schweife jetzt da nicht aus, einfach mal „Growth Mindset“ googeln und ihr findet alles dazu…) Aber den perfekten Menschen/Lehrer/Coach/Sänger gibt’s halt auch nicht, aus Fehlern darf man lernen. Ist es nicht weird*, dass das oft so banal klingt und man dennoch so oft damit kämpft? Wir alle machen Fehler! Die Frage ist, was wir daraus lernen!

Und natürlich gab’s auch Gesangseinheiten. Ich habe versucht einige Effekte in „Gethsemane“ aus „Jesus Christ Superstar“ auszuprobieren. Distortion hat da schon super geklappt – nur im Falsett nicht wirklich, da hat der Funke noch nicht gezündet… Aber gut, „nur net hudeln“*, sagt der Wiener. Und diesmal ging’s bei Kolleg*innen oft um die Zungenposition, mein Blogeintrag von letzter Woche war fast schon antizipativ. Vor allem das Dilemma: hoher Ton > größere Mundöffnung > Zungenrücken fällt, war mehrmals Thema. Die Sessions am CVI sind so dermaßen wichtig, weil jede*r Sänger*in mit anderen Themen „kämpft“ und jede*r Kolleg*in andere Tools braucht, um Fortschritte zu erzielen. Und als Coach kann ich ja nicht nur mit den Tipps daherkommen, die mir selbst geholfen haben (mit denen probiert man es erfahrungsgemäß ohnehin zuerst). Jede*r Sänger*in ist anders und braucht andere Zugänge. Und da kann man beim Zusehen in den Masterclasses unheimlich viel lernen.

Reise-Smalltalk: Wetter, Corona, Preise, Pfand

Ansonsten war es ein unglaublich schönes Wochenende. Ich genieße es, am Abend mit CVT-Kolleg*innen ein Bier trinken zu gehen und vor allem genieße ich ausgedehnte Spaziergänge im wunderschönen Kopenhagen mit Podcasts oder Hörbüchern im Ohr. Das ist mein Morgenritual. Im Hostel kann ich ohnehin nicht länger als bis 8 Uhr schlafen, dann rasch aufstehen und ab in die Stadt, ans Wasser und eine ausgedehnte Runde gehen. Das ist für mich purer Luxus und macht meinen Kopf frei.

Sonstige Randnotizen: Es war „World-Pride“ in Kopenhagen. Alles in Regenbogen-Farben, überall fröhliche Menschen. Es war auch „Ironman“ am Sonntag in Kopenhagen. Faszinierend, wie sich Menschen jeden Alters über die letzten Kilometer des abschließenden Marathons schleppten. Gesund schaut das nicht aus 🙂 Aber wunderschöne Stimmung, wie die Menschen entlang der Strecke am Hafen mit Wein auf Campingsesseln saßen und auf ihre Liebsten warteten und dann Kids begeistert aufspringen und ihren Papa/ihre Mama mit dänischen Flaggen anfeuern und ein wenig mitlaufen.

Öffentliche Coronatest-Stationen gibt es in Kopenhagen einige – ansonsten sieht man kaum etwas von Pandemie-Maßnahmen. Keine Kontrollen meiner Zertifikate, keine Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln (das fühlt sich als Wiener so ungewohnt an in der U-Bahn) oder in Restaurant-Innenräumen. Aber das nur so nebenbei, was man halt heutzutage so an Reise-Smalltalk zu bieten hat. Das Wetter übrigens: fabelhaft. Die Preise: dänisch. Unter 7,20€ kein großes Bier im Lokal (das manchmal 0,4l entspricht).

Und es gibt Pfand auf alle Dosen und Flaschen – und es funktioniert eigentlich easy in allen Supermärkten. Dass Obdachlose in der Früh viele Säcke der Flaschen/Dosen einsammeln und das Pfand dafür holen, ist natürlich einerseits irgendwie gut – also kleine Einkommensquelle für die Menschen und weniger Müll liegt herum -, andererseits natürlich traurig, dass es überhaupt so sein muss. Nur eine eigene Beobachtung: Man drückt „leichter“ im Vorbeigehen jemandem beim Sammeln zwei leere Wasserflaschen in die Hand, als nach ein paar Dänischen Kronen zu kramen.

Ein Hoch auf unsere Fehler!

Das war’s mit meinem kurzen, etwas assoziativ gestalteten Reisebericht. Ich habe ja die Vermutung, ich kann mit Gesangstipps eher euer Interesse für diesen Blog aufrechterhalten, das zeigen mir schon jetzt die ersten Zugriffs-Analysen. Aber ein bisserl will ich euch einfach Einblick in mein Leben geben, in meine Entwicklung, Gedanken und in meine Ausbildung. Persönlichkeit zeigen und Leser*innenbindung und so… Nur noch zehn Monate, dann wird auch der Abschnitt CVT-Ausbildung schon wieder Geschichte sein. Arg. Und es gibt noch so viel zu üben und zu lernen. Das Gefühl wird wohl ohnehin nie aufhören – und ich mag das! Habt ein schönes Wochenende und immer schön offen für Neues bleiben. Ein Hoch auf unsere Fehler!

Hier noch ein paar Kopenhagen-Fotos von meinen Spaziergängen:

Coming up on Vocalfriday #10

Stimme aufwärmen? No worries, dein Stimmband ist kein Trizeps – und trotzdem habe ich einige Tipps für dich, was du vor einem Auftritt für Übungen machen könntest, bzw. worauf man dabei achten und Wert legen könnte. Die Stimmbänder selbst sind meistens gut temperiert und einsatzbereit, aber wie sieht’s mit unseren Vokaltraktsettings und unserem Fokus aus?

*weird = Englisch für: seltsam/ungewohnt

*nur net hudeln = Wienerisch für: „nur nichts übereilen“

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

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