#10 Stimme aufwärmen? No worries, dein Stimmband ist kein Trizeps

Symbolbild. Tierbilder funktionieren doch immer gut. Ewiges Aufwärmen? Muss nicht sein, darf aber! (c) Pixabay / blende12

Zuerst einmal – und das schreibe ich ohnehin meistens irgendwann in meinen Blogeinträgen: Tu‘ das, was dir guttut. Du singst vor dem Gig eine halbe Stunde Tonleitern und es hilft dir, dich zu fokussieren, bzw. deine Stimme in Schuss zu bekommen? Good for you! Du wachst nach einem Powernap auf der Backstage-Couch auf, nimmst einen Schluck Bier und rockst danach die Bühne? Good for you! Im Folgenden möchte ich dir trotzdem kurz erklären, welche Elemente und Übungen ein gutes Warm-up sein können und warum der Begriff „Warm-up“ genau genommen ein bisserl unpräzise ist.

Den Stimmbändern ist nie kalt

Denn – um diesen letzten Teaser gleich aufzulösen – deine Stimmbänder sind nicht so groß wie deine Oberschenkel oder dein Arm. Ich weiß, das hättest du ohne mich nie herausgefunden :p Die Stimmbänder sind bestens eingebettet in deinen Körper und leiden nicht unter Kälte oder Hitze und: Sie sind ständig einsatzbereit. Im Kehlkopf hat es stets nice 36-37 Grad Celsius so ungefähr. Außerdem reden wir tagsüber doch auch, das Schwingen / Zusammenkommen / Bewegen der Stimmbänder ist also alltäglich und braucht keinen großen Firlefanz, um in Schwung zu kommen. Kleine Ausnahme ist vielleicht in der Früh, wenn die Stimmbänder womöglich von nächtlicher Atmung ausgetrocknet bzw. verschleimt sein könnten. Aber generell: deine Stimmbänder sind eigentlich bereit, wenn du sie brauchst. Eigentlich 🙂

Denn bist DU wirklich immer bereit für einen Gesangsauftritt? Hast du alle deine Technik-Tools, dein Feeling, deinen Fokus ready? Und gerade da kann ein kurzes Warm-up guttun – bleiben wir dennoch bei diesem gebräuchlichen Ausdruck 🙂 Im Idealfall haben wir vor einem Auftritt natürlich alle stimmlichen Herausforderungen schon längst in unser Muskelgedächtnis trainiert, dass wir alle Kehlkopf- und Vokaltraktmoves automatisiert haben und unser Künstler-Ich auf der Bühne die Kontrolle übernehmen kann. Aber vielleicht gibt es den einen oder anderen Sound, den du vor dem Auftritt in bequemer Lage nochmal hervorkehren könntest und dir die wesentlichen Punkte noch einmal in Erinnerung rufst.

Meine Warm-up-Tipps

Du könntest das zum Beispiel wie folgt machen, wenn du ein bisschen Struktur in deinem Warm-up brauchst.

1) eine Minute Support aktivieren
Lege deine Hände auf deine unteren Rippen (unter der Brust) und atme aus, spüre wie sich die Rippen nach innen bewegen. Atme mit Mund und Nase ein, und spüre wie sich dein Bauch und deine Rippen wieder weiten und genieße das Gefühl und atme nach ein, zwei Sekunden Pause langsam aus und wiederhole diese Übung zwei Mal.

Dann lege eine deiner Hände unterhalb deines Bauchnabels, die andere unter den Rippenbogen in den Solarplexus-Bereich. Mit akzentuierten Sounds wie „Dj“ oder „Zzz“ (vier oder fünf Mal pro Austmer) kannst du den Widerstand in den Stützmuskeln spüren: Dein Bauchnabel zieht nach innen (aber mit Widerstand), dein Solarplexus soll eher nach außen drängen.

2) zwei Minuten SOVT-Übungen – Liptrills, Summen, Blubbern und Co
Auf gehts auf zu den ersten Tönchen: super easy sind dabei „Liptrills“, also das „Luft durch die Lippen lassen“, während man einen Ton singt – quasi eine Aneinanderreihung von „weichen B“ – dabei einen Ton mitsingen. Wenn die Nase juckt, ist es richtig – eine Nebenwirkung der Übung 🙂 Und du singst je nach Lust: 1-2-3-4-5-4-3-2-1, oder 1-3-5-8-5-3-1. Wenn die „Liptrills“ so gar nicht funktionieren, macht nix. Probier’s mit einem stimmhaften „s“ oder „v“ oder „dj“. Versuche die Bewegung in deinen Supportmuskeln aus dem Abschnitt 1 dabei mitzunehmen und zu fühlen.

3) drei Minuten Sounds checken
Jetzt wird’s individuell – je nachdem, welches Genre du singst, bzw. welche Sounds du generell gerne verwendest.

Ich zum Beispiel singe im Warm-up gerne ein paar einzelne Töne in mehreren Modes (in einfachen Lagen), um auch hier die Technik und das Vokaltrakt-Setting nochmal in Erinnerung zu rufen. Achtung, jetzt folgen Ausdrücke der „Complete Vocal Technique“ 🙂 Die Modes könnten aber auch mit anderen Begriffen aus dem Gesangsuniversum ersetzt werden, je nachdem, was du üben möchtest, worauf du deinen Fokus legen magst, beim Warm-Up – etwa Belting, Kopfstimme, dunkle Klangfarbe, Klassik-Setting – you name it!

  • Neutral „i“ oder „u“: 1-2-3-4-5-4-3-2-1 (Oft im schnelleren Tempo, fast schon kleine Runs)
  • Curbing „u“: 1-2-3-2-1
  • Overdrive „eh“ oder „oh“: 5-3-1 oder verbunden eh-oh-eh…. 1-2-3-2-1
  • Edge gehe ich seltener durch, da ich den Mode selten verwende on stage, aber auch hier könntest du einfach den Edge-Vokal deiner Wahl nehmen und üben wie mit Overdrive.

Du merkst vielleicht: Wir wärmen weniger die Stimmbänder, als die restliche Muskulatur auf und erinnern unser Gehirn an die nötigen Settings für unterschiedliche Klänge.

Immer schön locker bleiben, nichts erzwingen

Wichtig hierbei: Egal welcher Mode/Klang, egal welche Übung: Beginne in einer easy Lage, erinnere dich an die wichtigen Faktoren. Bei Overdrive zum Beispiel (abgesehen von Support-Ökonomie) höhere Kehlkopflage und vielleicht mehr Twang? (Und für manche wiederum das Gegenteil… 🙂 Bei Curbing erinnere ich mich meistens an die Balance zwischen hohem Gaumensegel und Kehlkopfhöhe. Da ist natürlich total alles individuell. Das Warm-up ist aber jedenfalls dazu da, dich deiner Stärken und deines Könnens zu vergewissern. Also nur Dinge wiederholen, die du oft geübt hast und kannst. Nicht kurz vom Gig den einen „Run“ ausprobieren, der noch nie geklappt hat. Denn dann solltest du ihn auf der Bühne auch gar nicht erst probieren – im Idealfall.

4) vier Minuten Phrasen wiederholen und eingrooven
Stimme spricht gut an in den Modes / in allen Lagen und Klängen? (Support-)Energie ist da? Super. Dann könntest du vielleicht noch drei, vier Stellen aus deinen Songs ansingen. Zuerst ein paar, die ganz gut klappen, dann vielleicht eine schwierige Stelle. Aber am Schluss – und das ist super-wichtig – zurück zu einem Element, das du zu 100 Prozent kannst, wo du dich wohlfühlst und du dir Sicherheit für den Auftritt holen kannst.

Und so kannst du dir deine eigene kleine Aufwärm-Routine zusammenstellen, die du vor einem Auftritt durchgehst. Und es dauert nur zehn Minuten. Und wenn du überhaupt kein Warm-up brauchst: paaaasst. Tu, was dir gut tut! Mit Chören zum Beispiel arbeite ich ohnehin wieder ganz anders, da geht es neben dem Erinnern an Technik auch um Zusammenklang und Fokus, vielleicht auch darum, Nervosität abzubauen, bzw. kann das Einsingen da ganz viele verschiedenen Funktionen haben. Mehr dazu vielleicht ein ander‘ mal.

Gib’s zu, du hast doch auch eine 🙂 Lass es mich wissen: Was ist deine liebste Einsing-Übung?

Coming up on Vocalfriday #11

Selbstzweifel – Bäm. Jede*r hat sie, jede*r kennt sie – gerade als Künstler*in oder Lehrer*in / selbständige*r Unternehmer*in hat man doch manchmal das Gefühl, dass alle anderen es besser könnten und rascher vorankommen. Ein paar Geschichten und Gedanken aus meiner Erfahrung und wie ich versuche damit umzugehen. #Wertschätzung

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

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