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Wer eine Gesangsstunde besucht, rechnet doch immer damit, mit Atemtechnik konfrontiert zu werden, oder? Zumindest ein bisschen. Singen ist verlängerte/verzögerte Ausatmung. Wir stellen dem Atemstrom die Stimmbänder in den Weg, die die Luft wiederum zum Klingen bringen (verkürzt gesagt). Würden wir einfach nur ausatmen, wäre das Ausstoßen der Luft in ein paar Sekunden erledigt. Aber beim Sprechen und Singen hoffen wir doch auf ein bisschen mehr Zeit, bevor wir wieder Atem holen müssen. Gerade beim Singen gibt es beim Thema Atmen doch ein paar Missverständnisse. Und meinen üblichen Disclaimer schick ich noch hinterher: Immer daran denken, jede*r Sänger*in ist anders. Für manche gilt möglicherweise genau das Gegenteil von dem, was ich schreibe 🙂 Das ist dann der Zauber des Einzelcoachings…
Missverständnis 1: Viel Fokus auf Einatmung
Atmen können wir meistens ganz gut, bevor uns wer sagt, dass wir (tief) einatmen sollen. Klappt 24 Stunden, rund um die Uhr. Die meisten von uns atmen relativ entspannt ein und werden erst dann nachdenklich – und in der Folge möglicherweise verkrampft -, wenn man ihnen erzählt, „wo“ sie „hinatmen“ sollen. Etwa, dass sich der Brustkorb nicht heben darf und dass der Bauch sich weiten MUSS beim Einatmen. Es gibt auch allerlei Regeln dazu, ob man als Sänger*in durch Mund oder Nase einatmen soll. Ich bin da (das wird meine treuen Leser*innen wenig überraschen) Pragmatiker, glaube aber, dass die meisten zustimmend nicken werden, wenn ich sage: Einatmung durch den Mund geht doch deutlich schneller und effektiver, als durch die Nase – und meist auch geräuschloser.
Ich weiß schon: Das Idealbild der Atmung ist immer die entspannte Atmung, ohne dass sich die Schultern, ohne dass sich der Brustkorb dabei massiv heben – ein wenig Brustkorb-Heben wäre allerdings nur natürlich. Schließlich, will die durch Einatmen prall gefüllte Lunge ja mehr Platz haben. Aber solange keine sicht- oder hörbaren Spannungen beim Singen auftreten, sollte das alles kein Problem sein. Vielleicht schaut man sich das Thema mal an, wenn es in Richtung Gesangs-Spitzensport geht, aber vielleicht auch nicht.
Missverständnis 2: Einatmen beim Singen heißt, sich aufzublasen wie einen Luftballon
Kleine „Übung“: Atme entspannt ein und halte danach die Luft an. Nicht ausatmen! Du kannst jetzt noch mehr Luft einsaugen/einatmen. Ohne dazwischen auszuatmen! 🙂 Und vermutlich geht sich noch ein drittes Mal Luft holen aus, ohne davor auszuatmen. Ready für’s Singen? Eben! Das wäre Kugelfisch-Style! Wir können diese hohe Menge an Luft in den Lungen ja gar nicht kontrollieren. Wir würden mehr Energie darauf verwenden, die mühsam in die Lungen gepferchte Luft zurückzuhalten, bzw. würden wir sie bei den ersten paar Tönen wie einen Seufzer ausstoßen. Es muss also nicht der Mega-Einatmer sein, um ökonomisch zu singen. Denn der raubt uns eher die Energie, als mehr Benzin im Tank zu sein. Für rasches Einatmen zwischen zwei Phrasen sage ich oft Sätze wie: „Lass die Luft einströmen“, das kann bei manchen helfen, die sonst hektisch und zu viel einatmen. Ein gutes „Bild“ dazu ist auch: „Einatmen, als ob man die Kerzen einer Geburtstagstorte ausblasen möchte“ (ohne Geräusche dabei ;).
Missverständnis 3: Lautes Singen braucht viel Luft
Wer einen leisen, hauchigen Ton singt, wird diesen weniger lange halten können, als einen noch relativ bequem-lauten Ton auf derselben Tonhöhe. Es ist ein bisschen ein Paradoxon. Bei lauten Belting-Tönen (ihr wisst schon, das sind die laut-metallischen Angeber-Töne etwa in modernen Musical-Balladen) wird man wenig Luft spüren, würde man die Hand direkt vor den Mund des Singenden halten. Probiert es aus, singt einen leisen Ton und einen lauten Ton und haltet dabei euren Handrücken vor den Mund. Wobei spürt ihr mehr Luft auf der Hand?
Aaaaber….! Das sagt nicht unbedingt etwas über den Luftdruck aus, den die Stimmbänder unter sich brauchen, um den Sound überhaupt zu stemmen. Was? Druck? Ist ja ganz böse! Nunja, nicht unbedingt. Ohne Druck, kein Stimmbandschluss. Ohne einen gewissen Druck von unten (subglottal) und hilfreichen Verengungen im Vokaltrakt über den Stimmbändern (supraglottal), die auf den Schwingungsmechanismus zurückwirken, wird’s mit lauten (und metallisch klingenden) Tönen aus physiologisch-physikalischer Sicht werden. Und gleichzeitig geht kaum Luft durch die Stimmbänder bei einem lauten metallischen Ton. Der Klang definiert sich gerade zu durch die hohe Verschlussphase eines Schwingungszyklus‘ der Stimmbänder. Soll heißen: Innerhalb EINER Schwingung (von zum Beispiel 440 pro Sekunde bei einem a‘) sind die Stimmbänder länger geschlossen, als bei anderen Sounds. Sie werden durch die Luft zueinander gezogen und picken kurz zusammen – bevor sie durch den sich darunter aufbauenden subglottalen Druck wieder aufgedrückt werden (und das eben Hunderte Male pro Sekunde).
Worauf ich hinaus will: Hier kommt Support/Stütze ins Spiel, die unser Gaspedal ist. Das ewige Spiel zwischen irgendwie Luft zurückhalten und doch aktiv Luftdruck aufbauen. Denn natürlich will ich die Stimmbänder „schwingen lassen“ und nicht mithilfe der „Gewalt meines Luftstroms“ aufquetschen. Die Dosis macht das Gift. Ich ganz persönlich habe Stütze viele Jahre ein wenig missverstanden. Dazu ein anderes Mal. Nur ein Tipp: Wenn Muskeln beim Singen im Bauchbereich hart sind, blockiert sind, es sich wie „pressen“ anfühlt, dann ist das …. nun ja… nicht ideal… 🙂
Missverständnis 4: Stütze/Support bedeutet „Bauch raus“ oder „Bauch rein“, bzw. „die EINE Bewegung“
Stütze/Support ist das Zurückhalten der Luft, bzw. das Kontrollieren des Luftstroms beim Singen. Je nach Klang, den ich erzeugen will, braucht’s andere Dynamik in diesem Spannungsfeld. Und die kann ich nicht dadurch erreichen, in dem ich eine gewisse Körperregion als Grundregel immer in eine gewisse Richtung schiebe und fertig. Schon gar nicht, wenn ich diese Position „mit Gewalt“ halten will. Also – und soweit sind wir uns alle meistens einig: Der Bauchnabel zieht beim Ausatmen hinein, wenn sich das Zwerchfell hebt und dabei die Luft aus den Lungen drückt. Stimmt’s? Stimmt. Ist es aber die logische Konsequenz daraus, beim Singen, wenn wir also die Ausatmung verzögern und länger nutzen möchten, dass wir den Bauchnabel hinausdrücken? Nicht unbedingt. Mit einer fixierten muskulären Bewegung nach außen zu drücken, ist kontraproduktiv – Stichwort „pressen“. Aber vielleicht hilft ein gedachter Widerstand: so, dass der Bauchnabel nach innen zieht, aber nicht so schnell. Und dabei helfen andere Muskelgruppen mit. Ich will mich hier nicht in den Details von Support-Energie und -Arbeit verlieren. Muss mit meinen Blog-Themen ein bisserl haushalten 😉 Fix ist: Nur kein Körperteil auf 100% verspannen und damit verkrampfen.
Die Lunge und wie sie betrieben wird
Das war ein bisserl ein Springen zwischen mehreren Themen: Atmen, Support, Akustik, Anatomie. Aber das ist ja auch ein Blog für Leute, die ein bisserl Hintergrund wissen wollen oder Freude an der Diskussion haben – es ist nicht unbedingt ein Ratgeber-Blog für Anfänger*innen. Und es gibt noch einen schönen weiteren Begriff für „Stütze“, den die Kolleg*innen von Estill Voice Training (EVT) verwenden: „Anchoring“, also „Ankern“. Finde ich eigentlich auch sehr schön. Natürlich hat EVT auch sehr konkrete Vorstellung davon. Vielleicht streifen wir das ein ander mal.
Unlängst kam bei einem Workshop eine Diskussion darüber auf, wie denn Atmung genau funktioniert. Klar weiß man das, oder? Wirklich? Haha. Dieses Video ist jedenfalls die Antwort auf alle eure anatomischen Fragen! Ich fand’s super spannend und faszinierend! (Vorwarnung: präparierte Leichenteile…)
Wünsch euch ein schönes Wochenende!
#happyvocalfriday
Coming up on Vocalfriday #18
Ich kann das nicht! Kennt ihr das? Man steckt sich oft in Schubladen und sagt im Vorhinein, man sei für etwas nicht geschaffen, anstatt es vielleicht zu probieren und zu üben. Ich kämpfe da gerade an einer speziellen Herausforderung. Was das ist? Und wie wir bei unserer eigenen Kommunikation darauf achten können, uns keine Chance auf Neues zu verbauen, darüber schreibe und grüble ich nächstes Mal hier im besten vocalfriday-Blog der Welt.
am 29.10. hier im Blog
2 Kommentare zu „#17 Atmen für Sänger*innen? Vier Missverständnisse!“