#18 Ich kann das nicht!

Oh no, ich kann nicht „Knödeln“ wie Kermit. Wenn das nur die einzige Schublade wäre, in die ich mich stecke 🙂

Keine Sorge, ich schmeiße nicht alles hin… Je älter ich werde, desto eher bin ich empfänglich für die Macht des positiven Denkens, bzw. desto bewusster wird mir, wie sehr das Mindset, also die Einstellung, sich auf Fortschritte beim Singen und generell auf das Leben auswirkt. Hört also auf die unendliche Weisheit dieses Blog-schreibenden Mitt-Dreißigers 🙂 Ich bin kein Life Coach und will und kann auch als Gesangspädagoge keiner sein. Doch oft interferieren Emotionen und das festgelegte Selbstbild von Sänger*innen manchmal mit dem gewünschten Lernfortschritt.

Gerade dieses Selbstbild, an dem wir als Sänger*in bzw. Mensch ein Leben lang gebastelt haben, kann einen manchmal bremesen. Da gibt’s dann Sätze wie: „Ich kann nicht tief singen“, „Ich habe kein Gefühl für Rhythmus“, „Meine Stimme klingt immer zu quietschig“, „Falsett ist nicht so meins“…. Oft haben diese Aussagen irgendwie irgendwo irgendeinen wahren Kern – manchmal mehr, manchmal weniger: weil Gewohnheit und Training immer in eine Richtung gingen oder weil andere ein Bild geformt haben, das man angenommen hat. „Du bist ein Sopran!“, im Extremfall vielleicht sogar „Du kannst nicht singen“. Aber mir geht es darum, dass das nicht heißt, dass man nichts daran ändern kann, bzw. es nicht zumindest mit einem „Open Mindset“ versuchen kann und sollte – wenn man das möchte. Ich weiß, das ist ein bisschen ein „Bullshit-Bingo“-Begriff. Aber er bedeutet etwas ganz Wesentliches. „Open Mindset“ bedeutet, den Dingen, neuen Lerninhalten, neuen Menschen wirklich offen, ehrlich und lernbereit gegenüberzutreten. Und nicht nur so zu tun als ob und dabei „geht eh nicht“ zu denken.

Ich kann’s nicht.
Aber ich könnte mir kleine Fortschritte erlauben.

Ich gebe euch ein kleines Beispiel aus meinem Leben. Es kommt jetzt nicht die Mega-Erleuchtungs-Story. Es ist aber ein klitzekleines Beispiel, bei dem mir selbst erst unlängst bewusst geworden ist, dass man sich selbst manchmal unnötig blockiert. Ich arbeite gerade viel (okay ja, ich könnte mehr üben…) an meinen Stimm-Effekten, also zum Beispiel Distortion oder Creaking. Das ist gerade ein wesentlicher Teil der Ausbildung zum authorisierten CVT-Lehrer im dritten Jahr: diese Effekte anwenden und lehren zu können. Logisch irgendwie, dass nicht jede*r mit jedem Effekt von Anfang an gleich gut klarkommt. Und da ist mir eine Selbstkategorisierung an mir selbst aufgefallen, die mich daran hindert, den Effekt „Growl“ zu erlernen. „Ich kann nicht knödeln“. Wann immer es darum ging, so zu klingen wie Kermit der Frosch oder Shakira, ich habe das noch nie hinbekommen. „Knödeln“ ist eine Art Zungenkompression, die den Klang der Vokale ziemlich spezifisch verändert. Und „Growl“ ist quasi Knödeln plus Dingen, die im Kehlkopf vor sich gehen. Das Klischee-Klangbeispiel dafür wäre Louis Armstrong. „I see trees are green…“

Ich kann also nicht Knödeln. Also kann ich auch nicht „growlen“. Punkt. Und immer wenn ich’s versucht habe, war mir klar, dass ich scheitern werde. Weil: Ich kann’s ja nicht. Klar, dass es nicht geht.

Aber nehme ich mir damit nicht die Möglichkeit, meinen Horizont zu erweitern? Verhindere ich damit nicht Lernfortschritt? Yes, I do. Denn schließlich könnte ich doch kleine Fortschritte machen und dem Knödel-Phänomen stückchenweise näher kommen. Und ihr werdet mir bei dieser kleinen, langweiligen, harmlosen Knödel-Story auch wohl zustimmen. Eh kloar. Mit viel Übung wird’s schon werden. Aber gibt es nicht solche Sätze/Kategorisierungen auch in eurem Leben, die euch daran hindern, Dinge anzugehen?

Natürlich kommt auch in dieser Woche mein eigener Einwand und Disclaimer: Wie immer hat alles zwei Seiten. Versteht mich nicht falsch, ich finde es auch gut und wichtig, wenn man sich selbst so gut kennt, dass man genau weiß, was man braucht, will und auch kann. Aber manchmal ist es gut, diese selbst gesetzten Schranken zu evaluieren.

Wir feiern jeden Schritt in die richtige Richtung

Was heißt das jetzt beim Singen? Es heißt, dass es viele Wege nach Rom gibt. Für jede (technische) Frage gibt es Lösungen. Und viele davon werden nicht helfen 🙂 Aber vielleicht eine oder zwei davon. Und wir werden jeden minimalsten Fortschritt feiern und an ihm festhalten, ihn weiter trainieren, dass dieser minimale Fortschritt zur Selbstverständlichkeit wird. Und dann werden wir den nächsten Fortschritt suchen. Und Scheitern ist erlaubt. Aber nur dann, wenn wir die Türe zu unserem Ziel nicht wieder mental zumachen á la: „Ich hab‘ ja gesagt, das bringt nix!“

In meinem vielleicht etwas banalen „Growl“-Beispiel heißt das für mich: jegliche Tipps und Tricks zum „Knödeln“ ausprobieren, vielleicht vor dem Spiegel meine Zunge beobachten, was sie wie macht und dabei den Sound des Vokals beeinflusst. Vielleicht komme ich noch auf die richtige Spur. Vielleicht klappt es mit anderen Soundbeispielen als einfache Imitation plötzlich. Und natürlich werde ich meine Kolleg*innen damit nerven 🙂 Schließlich hat man als Coach oft die besten Tipps und Tricks für andere parat, die man für sich selber aber nicht in Ruhe annehmen würde bzw. die einem auch gar nicht einfallen.

Also wägt gut ab, in welche Schubladen ihr euch steckt. Ich finde ja, Schubladen sind für sich selbst ja nicht immer etwas Schlechtes. Sie geben Sicherheit. Sie geben Gewohnheit. Aber sie geben eben Grenzen. Und warum nicht mal etwas versuchen, das etwas Mut erfordert? Was soll schon passieren, wenn es nicht klappt? Die Aufnahmeprüfung („Ich schaff das nie“), das Casting („Ich bin nicht der Typ dafür“), die Frage nach dem Date („Er steht einfach nicht auf mich“) … oder „Knödeln“ lernen :)) Einfach mal machen.

Coming up on Vocalfriday #19

Free Larynx! Je höher wir singen, desto höher wandert der Kehlkopf „im Hals“ nach oben. Das ist eine Tatsache. Sollten wir uns da bewusst einmischen? Muss der Kehlkopf „tief“ bleiben, damit’s gut klingt? Oder das Gegenteil? Die Rede zur Larynx-Lage der Nation!

am 5.11. hier im Blog

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

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