Also der Titel ist jetzt ein bisserl angriffig heute. Bissl provozieren im Titel sei mir verziehen. Ich wollte euch nicht zu nahe treten. Möglicherweise habt ihr den „Sweet Spot“ für euch ja schon längst gefunden: Wenn Handwerk, Kunst und die Magie der Performance zusammenkommen. Aber für manche von uns hapert’s vielleicht doch in einem der drei Bereiche.
Die Dreiteilung in Craft > Artistry > Performance Magic (Handwerk, Kunst, Performance-Magie) greifen die Kolleg:innen von Estill Voice Training in ihrer schematischen Darstellung auf. Und es ist mir heute mal einen Blogeintrag wert, zu erklären, was es damit auf sich hat – und warum es sich lohnt, ab und zu mal einen genaueren Blick darauf zu werfen. Denn „einfach loslassen“ auf der Bühne führt nicht zwingend zum Erfolg führt. Handwerk/Technik kommt zuerst!
Die Zeichensetzung zwischen Craft > Artistry > Performance Magic sind schon auch relevant. Die Bereiche sind aufbauend, also: Das Künstlerische ist nichts ohne das Handwerkzeug. Performance-Magie wird kaum entstehen, wenn nicht zuvor Handwerk zur künstlerischen Freiheit geführt hat. Der letzte Halbsatz war etwas pathetisch, aber wisst ihr, was ich meine? Hier ein Facebook-Post der Kolleg:innen von Estill, die für einen Poster-Kauf werben 🙂 Aber es zeigt (Mitte, im unteren Bereich), wie dieser Aufbau gemeint ist. Nur die Summe der Teile führt zu einem Ganzen.

Ich kann nicht prinzipiell erwarten, dass ich einfach so auf die Bühne gehe, den Mund aufmache und Magie passiert. Vielleicht bei einem Karaoke-Abend. Vielleicht in Ausnahmefällen. Ohne Handwerk – ohne Technik – ist es schwer, sich weiterzuentwickeln. Und zur Freiheit auf der Bühne zu gelangen. Damit meine ich nicht, dass man jeden Kehlkopfmuskel kennen oder Musik studiert haben muss. Ganz und gar nicht. Aber einen nur scheinbar unerreichbar hohen Ton werde ich kaum mit der „Magie des Auftritts“ plötzlich mühelos singen – auch nicht mit „mehr Emotion“.
Und glaubt mir, ich hab mir das schon oft genug selbst eingeredet. „Auf der Bühne geht das dann schon“, „mit der nötigen Spannung auf der Bühne klappt das fix“. Vielleicht habe ich danach auch manchmal Glück gehabt und mich irgendwie d’rübergerettet. Ooooder ich hab’s vermasselt – ob’s das Publikum gemerkt hat oder nicht, ist nebensächlich. Aber schauen wir uns mal den Moment rund um den „wackeligen Ton“ an. Was passiert denn mit meinem Fokus im Song, bevor ich zu der Stelle komme. Man fängt an nachzudenken. Das Hirn bereitet sich vor. Die Atmung wird evtl. etwas flacher. Das Herz schlägt etwas schneller. Man ist damit beschäftigt, entweder verzweifelt irgendwelche hilfreichen Tipps und Tricks durchzudenken oder einfach nur nervös.
Ich pflanze noch die Routine „vor“ die Kunst
Und darum steht das Handwerk in der Priorität „vor“ der Kunst und „vor“ der Performance-Magie. Für mich würde es sogar Sinn ergeben, noch die „Routine“ in dieses Bild einzubauen. Ich muss das Handwerk beherrschen und so oft wiederholen, dass ich nicht mehr darüber nachdenken muss, dass ich das, das und das machen muss, um den einen Ton zu erwischen. Ich muss ihn so in mein Muskelgedächtnis gearbeitet haben, dass mein Körper das quasi von alleine macht.
Denn genau das ist es, was viele Sänger:innen vergessen. Routine, Üben! Wenn ich jetzt in der Gesangsstunde lerne, dass es mir hilft, das Gaumensegel zu heben (als Beispiel…), um einen gewissen Sound zu erzielen, der mir wiederum dabei hilft, den verflixten Ton zu erwischen – dann ist das super fein! Ein Durchbruch. Yay. Vielleicht schaff ich’s sogar drei Mal hintereinander mit der neuen Erkenntnis. Und dann? Ohne Üben wird’s nicht gehen. Ich werde bei einem Auftritt in der Folge zu sehr an der Technik hängen (mit meinem Hirn), und kaum Chance haben, die Performance-Magie zu erreichen. Routine fehlt!
Das ist es, was Üben für mich ausmacht. Die Freiheit, auf der Bühne den Moment genießen zu können. Da kommt dann nämlich möglicherweise die Emotion, der Ausdruck hinzu und hilft mir bei der Performance-Magie (und bei der Technik).
„Du denkst zu viel beim Singen“
Ich bin übrigens aus der Kategorie „Du denkst zu viel beim Singen“. Sollte im 28. Blogeintrag jetzt keine Überraschung für euch sein. Und dieses viel Denken macht mich zu dem, der ich bin. Zu dem, der sich über Gesangstechnik für sich persönlich viele Gedanken macht. Das hat mir auch viele Antworten gebracht. Wir wissen, dass es viele Wege zu „guter Gesangstechnik“ gibt – was auch immer das für jeden bedeutet. Auch eine Emotion kann helfen, kann Handwerk sein. Wenn ich die Emotion auf der Bühne und beim Üben jedes Mal gleich abrufen kann, damit sie gleiche Ergebnisse erzielt. Eine Emotion als Hilfsmittel zum richtigen Vokaltraktsetting sozusagen.

Als Vocal Coach ist es allerdings auch meine Aufgabe so konkrete Tipps wie möglich mit auf den Weg zu geben, die Probleme zu lösen. Aus dem „Gamblen“ – kommt der Ton oder kippt er – soll Handwerk werden. Und das versuche ich behutsam, was manchmal mehr, manchmal weniger gelingt. Meine Philosophie ist jedenfalls: Wenn etwas nicht funktioniert, muss ich es anpacken. Manchmal dauert das. Und ja, ich lenke damit Aufmerksamkeit auf etwas. Klar, ich nehme möglicherweise ein paar Prozent der „Kunst“ weg. Aber das ist doch erst der Anfang. Die paar Prozent können wir mit Routine bald der „Kunst“ und somit der „Performance-Magie“ zurückgeben, versprochen! Nur mit „bissl Bühnenenergie“ werden wir nicht zu besseren Sänger:innen. Deshalb: Handwerk > Routine > Kunst > Performance-Magie.
Es ist ein schmaler Grat. Eine Stelle immer und immer wieder zu üben, kann auch Angst aufbauen, anstatt sie zu nehmen. Aber deswegen geht es darum, richtig zu üben. Schritte in die richtige Richtung zu machen. Und nicht darum, stundenlang zu scheitern.
Selbst bei „richtigem Üben“ sei gesagt: Das Hirn braucht Pause. Das Hirn will nicht ständig beurteilen, wie du gerade so singst. Diese Zeit muss man sich natürlich genauso nehmen. Hast du den Fokus 30 Minuten lang auf ein Thema gelegt? Super! Dann wirds Zeit für ein wenig Musik ohne Judging und Technik-Gedanken. Einfach Musik machen. Die Emotionen rauslassen, ganz wie es dir gerade beliebt. Das Loslassen muss man sich dann schon auch gestatten. Die Trennung zwischen Üben und Performance muss klar sein.
Jedenfalls ist das auch einer meiner Vorsätze für 2022. So gut Routine zu erarbeiten, wie es das Leben nun einmal zulässt. Es wäre aber nicht ich, würde ich nicht dennoch – so wie wir wohl alle – auch mal nicht perfekt vorbereitet auf die Bühne zu gehen und trotzdem meinen Spaß haben. Denn sonst wäre das Leben dann auch ein bissl fad. Solange man sich nicht zu viel selbst beurteilt dabei. Schau ich halt zwischendurch ein bissl nachdenklich drein. Soll nix Schlimmeres passieren.
Habt ein schönes Wochenende und macht Musik!
Ein Kommentar zu “#28 „Wird schon gutgehen!“ Ohne Technik keine Performance-Magie!”