Das ist der neueste Clickbaiting-Schmäh, der mir in den letzten Tagen ein paar mal online begegnet ist. Influenzer, Blogger, Gurus, Marketing-Menschen schreiben einen wertenden und „extrem positionierten“ Satz und dann: „Change My Mind“. Ungefähr so: „Kaffeevollautomaten sind der größte Geschmackstöter der Kaffeeindustrie. Change My Mind“ Oder: „Salz ist das größte Gift in der Küche. Change My Mind!“ oder: „Klemens Patek ist der schlechteste Vocal Coach, den ich kenne. Change My Mind!“ … Ich glaube, ihr habt das Prinzip verstanden. Das Prinzip lautet Provokation. Und Provokation bedeutet in der Social-Media-Welt Interaktion: Likes, Kommentare, Zorn, Clicks, Shares. „Wie kann der nur sagen…“, „Er hat ja keine Ahnung“, „Endlich einer, der sich traut, die Wahrheit zu sagen“… 🙂
Der Kontrast zwischen „Gesangstechnik“ und „Musik machen“ oder „frei Singen“ zum Beispiel – der beschäftigt mich schon lange, wie ihr an diesem früheren Blogbeitrag vielleicht schon gemerkt habt. Das eine ergänzt das andere – andererseits gibt es sicher auch viele Sänger:innen, die einfach mega singen und noch nie darüber nachgedacht haben, was sie dabei tun. Die Welt ist eben nicht Schwarz und Weiß. Und alle Podcasts und Blogs, die ich gelegentlich verfolge, haben irgendwann die eine Folge, die ungefähr lautet: „Hört auf, diesen Podcast zu hören“, also: weniger nachdenken, mehr Singen.
Es hat eben alles seine Grenzen. Das Thema Selbstoptimierung hängt mir persönlich schon zum Hals heraus. Auch, wenn es natürlich etwas Positives ist: Ich muss nicht in der Früh eine Stunde Traumtagebuch schreiben. Bzw. ich will nicht. Und das ist okay. Es kann aber für andere eine gute Idee sein. Und für mich vielleicht, wenn ich zu viel zum Grübeln beginne. Es kann hilfreich sein, To-Do-Listen zu erstellen und Aufgaben nach Priorität und Dauer zu ordnen. Es könnte aber auch helfen, sich einfach mal an die Arbeit machen und am Ende des Tages nicht auf die nicht enden wollende Liste der nächsten Tage zu blicken und sich damit zu belasten. Und manchmal hilft es auch, die Arbeit einfach liegen zu lassen.
Karriere, Kinder, Hausbau – kann glücklich machen. Muss es aber nicht. Das Leben ist keine Checkliste. Ziele darf man sich hoch stecken, man darf ehrgeizig sein, aber um sie zu erreichen braucht es kleinere, erreichbare Meilensteine, sonst gibt man auf. Man soll große Träume haben, scheitert aber vielleicht daran, sie umzusetzen. Also lieber kleinere Brötchen backen?
Jede Herangehensweise hat ihre Berechtigung
So wie du dein Leben anpackst, so ist es richtig – inklusiver deiner Fehler. Und eben: So wie du dein Singen, deine Kreativität anpackst, so ist das richtig. Wir dürfen Singen auch mal zu verkopft angehen – und aus unseren Fehlern lernen. Wir sollen uns auch mal hinterfragen, warum wir nach einem hohen Ton heiser sind, auch wenn wir den Song prinzipiell voll geil performt haben und „voll im Lied versunken“ sind. Ja, wir dürfen das alles. Wir dürfen hier von einem Extrem ins andere pendeln und Musik und Singen dort spüren, wo es sich in dem Moment richtig anfühlt. Nur eines sollen wir nicht: uns vergleichen. Und wir müssen nicht immer versuchen, die Meinung der Leute zu ändern, die schreiben „Change My Mind“. Die wollen das nämlich gar nicht. Die eine Gesangstechnik auch nicht.
Und hier darf ich noch einmal einen wunderbaren Satz zitieren, der auch wesentlicher Teil der Philosophie der Complete Vocal Technique ist: Nimm, was du gebrauchen kannst, und den Rest lege gelassen beiseite. Und ich ergänze: Runzle nicht die Stirn darüber, wenn jemand anderer es genau andersrum anlegt und genau jene Teile anwendet/umsetzt, die du als für dich unnütz angesehen hast.
Klemens on stage – mit Safer Six
12. März 2022
Sound of Cinema – Wien Premiere
20 Uhr im Orpheum, Wien
Steigenteschgasse 94 b, 1220 Wien
Karten: www.orpheum.at