#54 Training nach Plan: Üben ist kein Multitasking!

Was wollen wir? Neue, stabile, Verknüpfungen der richtigen Dinge in unseren Gehirnzellen. Wann wollen wir das? Sofort! Aaaaaber leider…

Wie oft treffen wir ins… äh… Gelbe… beim Üben? Bzw. wissen wir überhaupt immer, was das Gelbe an eine Übung ist? Und wie wissen wir, ob wir überhaupt ins Gelbe getroffen haben? (c) Pixabay/QuinceCreative

Das mit den Verknüpfungen und neuen Schaltstellen im Gehirn ist auch beim Singen so eine Sache. Wenn wir Neues lernen wollen, müssen wir unser Hirn immer und immer wieder mit den richtigen Reizen fordern, sodass bestimmte Bewegungsabläufe und Muskelkoordinationen irgendwann automatisch abrufbar sind, wie Fahrradfahren, wenn wir auf den Drahtesel steigen. Nachlese im Blog#04 Übers Üben

Ich bin jetzt kein Hirnforscher. Surprise. Also verzeiht mir etwaige Unschärfen in meinen Formulierungen. Aber ein Vortrag von Sean McCarther auf dem ICVT2022, dem Anfang August über die Bühne gegangenen Internationalen Congress of Voice Teachers, hat mich einmal mehr zum Nachdenken gebracht, wie oft man etwas wiederholen muss, bevor man es beherrscht oder gezielt steuern kann.

Und vor allem: Dass es sich am besten lernt, wenn man sich auf eine Sache fokussiert. One thing at a time! Und das unzählige Male.

Vielleicht ist das wieder einmal eine Chance, unser Üben aufs nächste Level zu heben. Was genau üben wir, wie können wir kontrollieren? Ein simples Beispiel aus dem Themenbereich Stütze: Das Weiten der unteren Rippen. Manche*r Sänger*in könnte davon profitieren, hier ein wenig das Spüren zu lernen, die Bewegung bewusst wahrzunehmen auf dem Weg zu einer ökonomischen Stütze. Und diese Bewegung üben geht nicht, wenn wir ein kompliziertes Lied singen, bei dem wir Text und Rhythmus noch nicht ganz drauf haben. Unser Hirn wird nur damit beschäftigt sein, den Text zu lesen und den Rhythmus zu entschlüsseln. Also: Simplere Übung. Drei oder fünf Töne hinauf/hinunter. Nicht an die Grenzen des Machbaren gehen – also nicht in die lichtesten Höhen. Fokus auf die Atmung zwischen den Übungsphrasen.

Ähnliches Fokussieren empfiehlt sich bei vielen, vielen anderen Themen: Fokus auf Kieferverspannung, jegliche unerwünschte Verspannung, Twang, Vibrato, ein bestimmter Vokal, ein bestimmtes Vokaltraktsetting, ein bestimmter Klang, die Kopfhaltung, die Kehlkopfhöhe, die Klangfarbe…

Gib deinem Training einen Namen

Das kann dann so weit gehen, dass das persönliche Üben ein bisschen aussieht wie ein Trainingsprogramm von Freeletics… Fünf Übungen mit je einem Fokus zum Beispiel. Je nach Aufwand und Zeit vielleicht sogar drei Sätze davon. Also drei mal fünf Übungen. Wenn jede Übung 2,5 Minuten dauert, wären das 12,5 Minuten pro Satz. Das wäre schon ein wirklich ausgiebiges Training von rund 45 Minuten.

Eine Möglichkeit könnte sein, einzelne Übungen etwa auf Karteikarten aufzuschreiben – und entweder „blind“ gezogen immer wieder neu zu mischen. Oder pro Woche drei heraussuchen.

Ob das so viel Spaß macht, fragt ihr mich jetzt? Nun. Macht es nicht Spaß, besser zu werden? ;-p Aber natürlich: Alles eine Frage der Ziele und der Abwechslung. Aber selbst, wenn ich jetzt kein Profi bin oder werden möchte und ein Zeitbudget von jede Woche zwei Mal zehn Minuten zum Üben habe… Dann könntest du diese zwanzig Minuten ja sinnvoll nutzen. Ich weiß, wir wollen doch alle nur immer und immer wieder unser Lieblingslied singen – oder immer und wieder an „Let It Go“ aus Frozen scheitern…. Aber wie wär`s mal damit: Fünf Minuten EINE Übung zu EINEM Thema. Und dann: Fünf Minuten eine bestimmte Phrase (oder mehrere) eines Liedes. Oder einfach auch mal: Text lernen, Musik/Noten reinziehen. Oder an Interpretation und Aussprache arbeiten. So kann es auch meine Aufgabe in einer Gesangsstunde sein, deine Übezeit gemeinsam mit dir zu planen. Und wie gesagt: Angepasst natürlich an die jeweiligen Ziele.

Und wem diese Art des Übens liegt (und eine Strategie in diese Richtung schadet niemandem…), dessen Fantasie darf auch keine Grenzen gesetzt werden. Benenne deine Übungsfolgen mit einem martialischen Namen (wie in Fitnessapps) – heute mach ich mal „Walküre“, morgen dann leichtere Kost mit „David Hasselhoff“. Führe Statistik, wie oft du welche Übung (in welcher Range) schon gemacht hast. Oder auch nicht und übe einfach – jede*r muss seine Art des Übens finden, die ihn*sie weiterbringt 🙂

So könnte eine 10-minütige Trainingssession für mich derzeit etwa so aussehen:

  • Oktave 123456787654321 auf beliebigem Vokal, Mode Neutral, Fokus auf Kinn und Kopfhaltung (2 Minuten)
  • Hammervibrato auf einem Ton Tempo variieren (2 Minuten)
  • Ornamentation-Phrase langsam mit Fokus auf Tönen (1 Minute)
  • Ornamentation-Phrase in angenehmer Range, höheres/Ziel-Tempo (3 Minuten)
  • Mode „Edge“ Vokal „Ä“ drei Töne, Fokus auf Airflow und lockere Bauchmuskeln (2 Minuten)

Danach würde ich mich wahrscheinlich einem Song widmen, den ich üben sollte. Zuerst einzelne Phrasen, dann wenn nötig noch das Lied durchsingen (vor allem, wenn auch Interpretation schon gefragt ist).

Ihr seht, mein Programm beinhaltet ein paar CVT-Spezifika natürlich. Ich arbeite also an Modes und Vokaltraktsettings, die ich noch nicht so beherrsche, wie ich das gerne hätte – oder wo ich noch nicht flexibel genug bin, die Automatisierung nicht so hinhaut.

Bei einem anderen Gesangssystem, Estill Voice Training, ist das Konzept des „Trainings“ erstens schon im Namen und zweitens setzt diese Gesangsschule sehr auf kleinteilige Übungen als Basis des Klangs. Jede am Gesang beteiligte Struktur wird einzeln und so isoliert wie möglich trainiert. Und dann für den Wunschklang sozusagen zusammengesetzt. Aber geübt wird jedes Element einzeln. Also etwa Stimmansatz und -absatz oder die Einstellung des Gaumensegles, Kehlkopfstellung… Und EVT hat dabei auch eine recht spannende App entwickelt, die den Sänger*innen, die sich durch die Einführungskurse schon ein wenig mit dem Vokabular und den Übungen vertraut gemacht haben, beim Üben hilft.

Aber zum Üben der CVT-Modes (vier Grundklänge/Vokaltraktsettings) gelten eigentlich simple Übungsanleitungen: Erst einen Ton – jeweils ein Vokal, dann drei (ein Vokal, bzw. abwechselnd zwei Vokale), dann fünf, dann Oktave, dann Phrase auf Vokal, Phrase auf Text. Und das alles immer zuerst in einer Lage, bei der’s funktioniert. Nur höher üben, wenn’s drei Mal erfolgreich geklappt hat mit der „Übung“. Ja, auch EIN Ton, kann eine „Übung“ sein.

Also wie auch immer: Wiederhole, spüre, gewöhne deinen Körper/deine Stimme an Dinge. Denn in einer Gesangsstunde ist es doch oft so: Es geht gut. Wir drehen dort an Schräubchen und da. Und dann geht’s besser und du merkst Fortschritte. Aber das reicht nicht (unbedingt). Neue Dinge brauchen Zeit, sich ins Muskelgedächtnis zu arbeiten. Die Aufgabe für dich ist: Die Erkenntnisse in Übungen umzusetzen: wiederholen, wiederholen, wiederholen, automatisieren.

Safer Six (Pop-/Rock-Acapella!) – unser neues Programm „Sound Of Cinema“ ist bald auch in DEINER Nähe!

Sa 27. August, 19.30 Uhr, im Konzerthof der Stadtgemeinde Mödling
Fr 2. September, 20 Uhr, Schloss Katzelsdorf
Fr 23. September, 20 Uhr, Musikerheim Wartmannstetten
Sa 1. Oktober, 19.30 Uhr, KUSAMi Mitterndorf an der Fischa

www.safersix.at

Safer Six – Kinderprogramm: „Auf der Suche nach der Goldenen Note“

Das wunderbar musikalisch-humorvolle, rund 70-minütigen Acapella-Kindermusical „Auf der Suche nach der Goldenen Note“ steht gleich vier Mal auf dem Spielplan im Osten Österreichs. Für Kinder von fünf bis 12 – so ungefähr.

27. August, 16 Uhr, Konzerthof der Stadtgemeinde Mödling
8. Oktober, 16 Uhr im Kulturzentrum Oberschützen
9. Oktober, 14 und 16.30 Uhr im Kulturzentrum Mattersburg

www.safersix.at

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

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