#55 CVT, Estill und Co – der Zauber der gemeinsamen Sprache

In meinen Blogeinträgen ist ja immer wieder die Rede von „Gesangssystemen“ – mir fehlt eigentlich das richtige Wort dafür. Also zum Beispiel „Complete Vocal Technique“ – da kenn‘ ich mich am besten aus, schließlich bin ich ausgebildeter und authorisierter CVT-Lehrer. Aber es gibt noch etliche andere dieser „Systeme“: In Wien vor allem noch vertreten: Estill Voice Training, früher mehr Speech Level Singing, woraus wiederum etwa das „Insitute for Vocal Advancement“ hervorging… In meinem persönlichen Umfeld sind CVT und Estill nun einmal am präsentesten…

Okay, das Schafbild meine ich jetzt echt nicht bös. Aber ein wenig Herden-Subtext… und das mein ich wirklich positiv! (c) pixabay/suju-foto

Die Frage ist, warum es diese Schulen/Systeme überhaupt gibt? Es ist ja nicht so, dass jedes dieser Systeme – ich bleib‘ jetzt mal bei dem Wort – von sich behauptet, alleine die Weisheit gepachtet zu haben. Jede dieser Techniken (wobei mir das Wort eigentlich irgendwie am schlechtesten gefällt, denn es ist weniger die „Technik“ als die Erklärungen/Erläuterungen/Philosophie, die sie unterscheidet) hat irgendwann mit einem Menschen angefangen, der etwas genauer wissen wollte. Dem das bisher aufzufindende Wissen nicht gereicht hat. Der mit den ihm/ihr zur Verfügung stehenden Mitteln nicht die Ziele erreicht hat, die er*sie wollte. Zumindest bei Joe Estill und Catherine Sadolin war es so. Beide hatten den Wunsch, vage Begriffe in der Gesangspädagogik mit Fakten und Wissen zu unterlegen. Und die Ergebnisse logisch aufzuarbeiten. Das Singen sozusagen ein wenig zu entmystifizieren. Ein Zugang, der mir – treue Leser*innen wissen das – genau so am Herzen liegt. Nur, dass ich ein wenig fauler bin und das Glück hatte, zu finden, wonach ich gesucht habe.

Dazu sei gesagt, abgesehen von den in Europa populäreren Gesangsschulen wie EVT (Estill Voice Training) und CVT gibt es eine große Community von nach Wissen in allen Bereichen strebenden Wissenschaftlern und Praktikern, die sich in vielen Dingen schon sehr einig sind (Mechanisms/Register… der Drops ist eigentlich gelutscht, würde ich sagen… zumindest so im Groben). Ich sag‘ ja auch immer: CVT ist kein Vodoo. Es ist nicht abgekoppelt von der Welt. Es ist eine spezielle Art und Weise Singen auf Fakten basierend in Klänge einzuteilen und aufzubereiten. Es gibt Regeln, die dabei helfen, den Wunschklang zu erreichen. Und diese Regeln finden sich abgewandelt in der gesamten Welt moderner Gesangspädagogik wieder.

Worauf ich mit dieser etwas langen Einleitung hinauswill – und das steht schon in der Überschrift…: Es ist die gemeinsame Sprache, die diese Systeme ausmacht. Egal, wie man zu ihnen jetzt persönlich stehen mag. Ich sag ja immer, es ist völlig egal, wie man die Dinge nennt, solange sich Sänger*in und Lehrer*in einig sind, beide wissen, wie sie einen Klang („Kopfstimme“, „Mix“, „Belt-Mix“, „Weißer Elefant“…) gesund reproduzieren können. Es könnte sogar egal sein, dass weder Schüler*in noch Lehrer*in dabei wissen, was im Vokaltrakt abgeht. Könnte. Ich fände es zumindest für den*die Lehrer*in erstrebenswert. Aber im Endeffekt: Happy Sänger*in, happy Lehrer*in.

Was hörst du? Wie kann man beschreiben, wie jemand singt?

In der CVT-Comunity zum Beispiel ist es – ähnlich wie bei Estill – üblich, Soundbeispiele zu analysieren. Also etwa eine Live-Performance einer*eines Künstlers*Künstlerin auf YouTube. Bei CVT analysieren wir den Mode, die Klangfarbe, Effekte und – fortgeschritten – auch Density (dazu vielleicht ein ander Mal mehr). Klar sind wir uns dabei nicht immer zu huuuundert Prozent einig. Aber so im Großen und Ganzen schon. Und das ist der Zauber. Ich muss nicht entschlüsseln, was mein Gegenüber mit „Overdrive“ und „Byway“ meint. Ich weiß es. Wir haben es von selben großartigen Team in Kopenhagen gelernt – was damit gemeint ist, was anatomisch dahinter steckt, was die Regeln dafür sind, wie wir unseren Sänger*innen in welchen Situationen wie helfen können.

Und selbiges gilt für Estill-Leute, die ihrerseits ihre Begrifflichkeiten haben. Ich versteh‘ schon, man könnte auch alles mit Begriffen „übersetzen“, die es schon gab. Und wenn ich einen Estill-Artikel oder -Workshop lese/besuche, „übersetze“ ich manchmal innerlich in CVT-Sprache und versuche so zu verknüpfen. Und manches kann ich tatsächlich eins zu eins „übersetzen“. Anderes weicht ein wenig ab. Da gibt es dann vielleicht ein Wort in Estill, das ich in CVT für diesen bestimmten Bereich nicht parat hätte.

Das Finden der gemeinsamen Sprache war auch nach eigenen Aussagen das Ziel von Catherine Sadolin, der Gründerin von CVT. Einfach, weil die bestehende Sprache zu umstritten, zu unterschiedlich interpretiert wurde. Einer der vier Modes bei CVT hieß früher übrigens „Belting“. Aber das hat zu viel zu Verwirrung geführt, der Begriff war zu „kontrovers“ in der Gesangswelt da draußen, jede*r hat etwas anderes darunter verstanden – abgesehen von Vorurteilen: Belting ist böse und tödlich! Schließlich wurde „Edge“ daraus. Und in meinem kleinen Kopf würde ich das weite Feld des „Beltings“ auch nie ausschließlich in die Box mit der Aufschrift „Edge“ stecken.

500 CVT-Lehrer*innen weltweit teilen diese Sprache. Und natürlich hat CVT als Gesangspädagogik – wie sie aufgebaut und logisch mit Anatomie verknüpft ist, wie sie die Wünsche der Sänger*innen in den Fokus nimmt, wie sie Hilfe zur Selbsthilfe gibt, ohne den Bezug zur Musik, zu Musik machen verliert, eben auch andere Vorzüge. Aber ein Aspekt – die gemeinsame Sprache, das gemeinsame Wissen, ist schon ein großer Vorteil. CVT-Lehrer*innen weltweit unterrichten ihrem Charakter, ihrer Erfahrung, ihren Prioritäten nach unterschiedlich. Und doch wird man sich ein bisserl wieder wie „zu Hause“ fühlen, wenn man etwa aufgrund eines Umzugs in ein anderes Land eine*n andere*n CVT-Lehrer*in aufsucht.

Es geht nicht per se um die Wörter

Und wenn in Gesangsstunden lieber jemand von „Kopfstimme“ oder „Belting“ oder „in die Maske singen“ spricht – und für sich weiß, was damit gemeint und zu tun ist – dann soll’s mir recht sein. Dann übersetze ich innerlich (bzw. brauch ja nicht lange zu übersetzen… ist ja auch meine Begriffswelt). Und frage nach – ohne andere, verwirrende Begrifflichkeiten – wie der*die Sänger*in etwas meint / versteht / fühlt. (Lauter, leiser, voller, runder, dunkler, whatever…. Klangbeispiele vielleicht von Youtube?) Das ist meine Aufgabe. CVT ist das, womit ich mich verhältnismäßig am intensivsten beschäftigt habe, dementsprechend übersetze ich innerlich oft in CVT-Modes und Co. Und ich erklär’s auch gerne dem*r Sänger*in, wenn explizit CVT gewünscht ist. Aber oft genug reden wir in unserer eigenen Gesangssprache. Und die ist in jeder Gesangsstunde – je nach Mensch und dessen Erfahrung – immer eine andere. Und doch ist es wunderschön zu wissen, ich kann im Anschluss dann per Zoom meine vielen, vielen CVT-Kolleg*innen weltweit fragen – und wir sprechen dabei alle dieselbe Sprache – und ich meine nicht Englisch… 😉

Kultur on Tour mit dem Theater im Neukloster
Musical „Canterville“ (Workshopfassung)

Noch drei Mal reisen die lieben Menschen vom Theater im Neukloster noch per Bus in die Wiener Neustädter Stadtviertel und präsentieren einen Auszug aus dem Musical „Canterville“ von Florian Scherz. Schaut doch vorbei. Eintritt (eher Zutritt) ist frei!
(fyi: Ich stehe nicht auf der Bühne, habe nur mit den Sänger*innen die Songs einstudiert)

Di 6. September, 17:30 Volksschule Rudolf Wehrl (Fliegergasse/Illnergasse)
Mi 7. September, 17:30 Autobushaltestelle Olof Palme-Platz (Arndgasse/Ulschalkgasse)
Do 8. September Spielplatz beim Seehof (Margaritengasse/Tulpengasse)

www.theaterimneukloster.at

Safer Six (Pop-/Rock-Acapella!) – Wir sind bald auch in DEINER Nähe!

Programm Sound Of Cinema:
Fr 23. September, 20 Uhr, Musikerheim Wartmannstetten („Sound Of Cinema“)
Sa 1. Oktober, 19.30 Uhr, KUSAMi Mitterndorf an der Fischa
Fr 18. November, 19 Uhr, Stadtsaal Gloggnitz

Kinderprogramm Auf der Suche nach der goldenen Note
Sa 8. Oktober, 16 Uhr, Kulturzentrum Oberschützen
So 9. Oktober, 14 und 16.30 Uhr im Kulturzentrum Mattersburg

Infos und weitere Termine:
www.safersix.at

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

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