Ich verstehe schon, dass nicht jede*r super happy ist, wenn Wörter mit generischem Maskulin in männlicher und weiblicher Form in Texten auftauchen – mit Sternchen oder Doppelpunkt. Also der Sänger und die Sängerin – oder der*die Sänger*in. Es wäre allerdings wirklich komisch für eine Frau zu sagen: „Ich bin Sänger.“ Das Argument ist immer die Lesbarkeit. Und „man übertreibe es“. Nun, ich denke mir jedenfalls, Sprache ist lebendig. Wir werden sehen, wohin sie sich entwickelt. Mir ist jedenfalls eine geschlechtsneutrale Sprache sehr wichtig. Ich möchte, dass sich jede Person, die meine Texte liest, wohlfühlt und sich im Text wiederfindet. Und ich glaube nicht an massive Lesbarkeitshürden… Da ist auch manchmal die Kunst des Autors gefragt.

Jedenfalls verwende ich, soweit es geht, entweder Doppelpunkt oder Sternchen bei manchen Nomen. Also Sänger*innen. Das Sternchen steht für alle, die sich nicht als männlich oder weiblich fühlen. Welcome! Wir sind doch alle einfach nur wir. Und es passiert oft genug, dass ich ich an einer Stelle eine Umformulierung vergesse oder nur die männliche Form verwende. Das ist dann deswegen ja für niemanden ein Drama. Es zählt die Offenheit und ein gewisses Bewusstheit. Und ich rege mich auch nicht auf, wenn das nicht alle so handhaben. So bin ich halt. 🙂
Warum ich euch heute mit meiner Einstellung zu gender- und geschlechtsneutraler Sprache überhaupt behellige? Ich bin im Verlauf meiner mit diesem nun 58 Einträge zählendem vocalfriday-Blog immer wieder auf das Problem gestoßen, dass singen ein offenbar ziemlich binäres Betätigungsfeld ist. In den Chören gibt es „die Männer“ und „die Frauen“. Insofern schon einleuchtend, weil es eben auch rein biologisch bis auf wenige Ausnahmen diese zwei gibt – jedenfalls auch was den Kehlkopf betrifft. Denn der Kehlkopf landet entweder im Stimmbruch in der Pubertät und macht die Stimmbänder länger und als „Männerstimme“ erkennbar, oder eben nicht bzw. kaum. (Ja, auch „Frauenstimmen“ sinken ein paar Halbtöne, aber meistens ohne das Stimmbruch-Gekiekse-Drama 😉 )
Eine Frau, die im Stimmbruch war
Jetzt nehmen wir den Fall einer Person, die mit männlichen Geschlechtsmerkmalen geboren wird, aber sich als Frau identifiziert. Der Stimmbruch, der im Alter zwischen 11 und 15 Jahren einsetzt, ist aber nicht mehr so einfach reversibel. Das Ergebnis: Die „männliche“ Stimme passt nicht zum Selbstbewusstsein der Identität als Frau. Und: die das führt zu Problemen im Alltag: Missverständnissen am Telefon, man wird als Transperson wahrgenommen – nicht einfach als Frau. Sobald man spricht, ist die Transidentität Thema, man outet sich sozusagen mit jedem Wort. Es gibt wohl Operationsvarianten – zu denen ich als Nicht-Arzt jetzt so gar nichts sagen kann -, die aber wohl auch nicht für jede Person eine Option sind.
Die Arbeit mit Transpersonen, deren Stimme ihrem neuen Geschlecht und Selbstbewusstsein anzupassen, sich damit wohlfühlen – ist aber auch Teil des Aufgabengebiets vieler Gesangspädagog*innen. Bei als biologische Frauen geborenen Personen, die sich als Mann identifizieren, ist das oft ein weniger prioritäres Problem. Denn mithilfe von Hormonen sinkt die Stimme auch später noch ab. Mittels Vocal Coaching kann man aber auch da, bei der Suche nach der neuen Stimme, die zu einem passt, helfen.
Ein Satz aus jeder Chorprobe: „Und jetzt bitte nur die Männer“
Und jetzt komm‘ ich (fast) zum Punkt dieses Blogeintrags. Wenn sich jemand als non-binär oder genderfluid versteht, fühlt sich diese Person entweder keinem der zwei Geschlechter zugehörig – oder eben nicht fix einem/keinen, also nicht immer gleich. Und wenn ich dann von Männerstimmen oder Frauenstimmen schreibe oder rede, werfe ich Fragen oder Dissonanzen auf. Einerseits für Transpersonen – wie oben beschrieben. Frauen, die einen Kehlkopf haben, der den Stimmbruch durchgemacht hat. Sollen sie „bei den Männern“ mitsingen? Da hat’s dann eben was mit den Wörtern und Kategorisierungen.
Gerade in Chören stellt diese strikte Männer-Frauen-Aufteilung für einige Menschen eine Einstiegshürde dar, eine Barriere, eine Art der verbalen Margination. Und das ist schade. Eine einfache Hilfe könnte sein, einfach die Stimmgruppen zu nennen: Sopran, Alt, Tenor, Bass (oder wie auch immer das in diversen Chören gehandhabt wird). Was spricht dagegen, wenn Frauen im Tenor oder Bass singen? Solange es einfach eine Stimmlage, in der sie sich wohlfühlen – ohne dass man sie deswegen als Besonderheit/Fremdkörper wahrnimmt/abstempelt/präsentiert?
Und, wie lang sind deine Stimmbänder?
Ich bin als Gesangspädagoge im Grunde also mit einer Prädisposition am Kehlkopf konfrontiert – unabhängig vom identifizierten Geschlecht: Stimme mit und ohne Stimmbruch. Und der Rest ist für mich: Arbeiten an den Zielen der jeweiligen Person. Noch einmal hier der Disclaimer: Ja, auch Frauen haben einen Stimmbruch, aber die Stimmbänder wachsen nur wenige Millimeter. Bei Männern ist es bis zu einem Zentimeter.
Ich denke also: Jede Person soll willkommen sein, so wie sie ist – auch in Chören. Jetzt könnte man einwenden, wenn man keine Transpersonen oder Nonbinary-Menschen in der Gruppe hat – eh egal? Vielleicht. Vielleicht stellen wir aber auch unnötigerweise das soziale Geschlecht in den verbalen Fokus, wo es vollkommen egal ist.
Für meinen Blog suche ich aber immer noch nach guten Begriffen. Mutierte und nicht-mutierte Stimmen ist leider halt fachlich nicht so ganz richtig – abgesehen davon, dass es noch etwas gestelzt klingt. Ist euch da schon ein guter Begriff unterkommen, euch Expert*innen da draußen? Und ich werde wohl oft noch in die begriffliche Männer-Frauen-Binär-Wortfalle tappen. Gewohnheit. Ich seh das entspannt. Und ich bin sicher, meine Texte sind wenn dann nur wegen meiner Satzkonstruktionen, Brabbeligkeit und Smileys unlesbar 🙂
2 Kommentare zu „#58 Singen und Gendern. Warum müssen Chöre immer so binär sein?“