Es ist die große Stärke und vielleicht auch Schwäche von CVT zugleich. Die „Complete Vocal Technique“ hat keine Berührungsängste mit Lautstärke. Und zwei der vier CVT-Modes (Vokaltraktsettings bzw. akustische Register) ermutigen geradezu zu lauten Tönen. Overdrive und Edge sind dabei wahre Wundermittel für Menschen, die ihre Bruststimme suchen, die nach lauteren Tönen suchen. Und wir finden das Setting oft durch lautes Rufen auf den „richtigen“ Vokalen. Und in vielen Fällen funktioniert das auch gut und schnell. Der Körper kann vieles, wenn er nicht zuvor daran denkt, dass das jetzt „Singen“ ist – und er glaubt, dass er es also nicht kann… Und wenn er ein paar kleine Ticks und Tricks und Erklärungen geliefert bekommt. Und dann gilt es dieses Setting auch ins Singen zu bringen.
Doch die Ausbildung zur authorisierten CVT-Lehrperson dauert nicht umsonst drei Jahre. Wir schreien nicht nur Vokale durch die Gegend, wir beschäftigen uns ausgiebig auch mit den Gefahren der lauten Töne. Bzw. mit Warnsignalen. Viele Sänger:innen haben Angst vor lauten Tönen, weil ihnen gesagt wird, dass das ungesund sei. Bruststimme überhaupt – tödlich. Diese verstaubte Sichtweise ist zwar ohnehin kaum mehr zu hören. Denn bei den lauten (im Belting-Spektrum) liegenden Sounds von Overdrive und Edge bewegen wir uns in einem für die Stimme in der Natur liegenden Setup. Wenn wir jemanden auf der anderen Seite der Straße rufen. Oder beim Bestellen von Drinks im lauten Club. Wir haben es in uns. Babys schreien stundenlang in „Edge“, ohne heiser zu werden.

Natürlich, es gibt auch ein „Aaaaaber“
Aaaber, wir haben es auch in uns, uns auszuschreien. Wir kommen heiser aus dem Klub. Wir kommen ohne Stimme aus dem Sprechberuf nach Hause – womöglich, gerade weil wir an einem Tag öfters laut werden mussten. Manchmal kann Lautstärke ein Tool, ein Werkzeug sein, um gewisse Klänge zum Vorschein zu bringen und abzusichern, also gesund zu erzeugen. Und manchmal überstrapazieren wir unsere Stimmbänder damit. Wer generell Probleme damit hat, laut zu singen bzw. es nicht gewohnt ist, in Bruststimme zu singen, für die Person gilt es, die Klänge erst einmal zu entdecken. Überhaupt einmal laut werden. Nur so kann man das richtige Setting finden. Ich kann nicht etwas leise üben, das laut sein sollte. Da können die Muskeln nicht lernen, was sie tun müssen.
Aber – und diesen Disclaimer kennt ihr wohl schon: Man muss sich langsam vortasten. Das Schöne an CVT ist, mit ein paar Tricks und Tipps lassen sich relativ rasch Erfolge erzielen, was Lautstärke bzw. Finden von Bruststimme betrifft. Aber man muss dabei genau erkunden, wann ein Ton gesund ist. Auf den Körper hören: Was fühlt sich nicht so ideal an, macht heiser, tut weh oder animiert zum Räuspern – dann ist die Belastung für die Stimmbänder offenbar zu hoch. Bzw. der subglottale Druck zu hoch, das Setting nicht ideal, manche Muskeln hindern den Kehlkopf an seiner Arbeit. Dieses Gefühl darf man aber auch nicht mit dem Gefühl verwechseln, wenn die Kehlkopfmuskulatur etwas Neues lernt. Es ist also ein schmaler Grat – vor allem als Vocal Coach zu animieren: Trau dich, laut zu sein. Und sei vorsichtig, wenn du laut bist. Bzw. frage ich dann oft: „Wie fühlt’s sich an für dich?“
Unlängst war ich aus dritter Hand wieder mit ein paar negativen Kommentaren zu CVT konfrontiert. Viele CVT-Sänger:innen hätten Stimmprobleme. Das ist natürlich kompletter Blödsinn. Kritik an CVT ist nichts Neues, es gibt immer Kritiker von anderen Gesangssystemen bzw. Menschen, die sich gar nicht richtig damit beschäftigt haben. Manchmal aus einer Art Lager- und Konkurrenzdenken. Und manchmal ist Kritik auch berechtigt bzw. muss man da genau hinschauen.
Ich werde CVT natürlich stets verteidigen. Weil ich CVT gut finde. Aber man kann auch immer über die Schwächen des Systems sprechen. Und ich schließe nicht aus, dass sich jemand mit CVT beschäftigt – und in Probleme rennt. Vor allem, wenn man sich nicht mit einer autorisierten CVT-Person der Technik nähert. Das ist für mich der springende Punkt. Denn wenn ich Edge und Overdrive oder auch das Thema „Stütze“ („Support“) nur aus dem Buch lerne – oder von jemandem, der selbst nur einen Einführungsworkshop absolviert hat, kann das komplett in die falsche Richtung gehen. Mit übermäßigem Druck (oder zu wenig?) unter den Stimmbändern, mit zu viel Schreien, zu viel Krampf.
Stimmprobleme sind kein Grund für Häme und können jede:n treffen
Ich glaube auch, dass das allgemein mit „Wie belte ich richtig?“-Videos aus YouTube oder den lauteren Bereichen jeglichen Gesangssystems passieren kann – wenn man nicht 100% weiß, was man tut – oder niemanden hat, der einen rechtzeitig auf Gefahren hinweist. Denn Overdrive und Edge als Klänge finden sich auch auf dem Spektrum anderer Techniken – auch in Estill, oder in der Klassik (heißen halt anders…).
Und dann ist es mir noch wichtig zu sagen, dass jede:r Sänger:in in ihrem Sänger:innenleben Gefahr läuft, mit Stimmproblemen konfrontiert zu sein. Und das Fingerzeigen und „die singt also nicht richtig“ (mit Unterton: „Ich hab’s ja schon immer gewusst“) ist der falsche Weg. Erstens: Manchmal hat man einfach Pech, zweitens: Niemand ist perfekt. Stress, neues Repertoire, neue Verspannungen, ungewohnte Anforderungen des Plattenlabes – whatever: Niemand ist davor gefeit, sich in eine Sackgasse zu singen. Und jede:r kann sich da wieder raussingen – mit medizinischer-therapeutischer Hilfe, mit Geduld und Leidenschaft.
Hab keine Angst vor Lautstärke und achte auf deine Stimme und was du spürst
Was auch in der Einleitung von jedem CVT-Workshop Thema ist: Habe keine Angst vor Lautstärke, vor Klang. Sorge dich lieber um unkontrollierte Verspannungen. Jede:r Sänger:in muss lernen auf sich zu hören: Was fühlt sich gut an – und was nicht. Und natürlich sind CVT-Lehrpersonen dazu da, da auch ein bisschen einzugreifen und auf Dinge hinzuweisen. Aber wir animieren Sänger:innen sicher nicht zu sinnlosem Herumgeschreie ohne Kontrolle über den Ton und die Spannung. Abgesehen davon wird CVT auch oft auf diese Klänge reduziert: Nein, CVT ist für alle Klänge da. Von Klassik bis Jazz. Von leise bis laut.
Also: Ich sehe schon die „Gefahr“ der lauten Modes und Töne. Und umso vorsichtiger bin ich in meinen Coachings damit. Für jede:n Sänger:in gilt: Langsam üben, schnell lernen. Also dort üben, wo’s von der Range her funktioniert. Die Abläufe und Vokaltraktsettings üben. Auf den Körper hören. Unkontrollierte Verspannungen vermeiden und eliminieren. Aber habt keine Angst vor Sound, vor Klang, vor Lautstärke.
Hört auf euren Körpern und eure Stimmen – und sucht euch die richtigen Coaches, die euer Singen merkbar besser machen. Und was die ganze „Systemdebatte“ CVT versus xy betrifft – und dafür bin ich in der CVT-Philosophie am meisten dankbar: Folgt dem Motto: Was funktioniert/hilft, aufgreifen. Was nicht Sinn ergibt für dich, sich komisch anfühlt, einfach mal beiseitelegen. Be open, be kind!
Habt eine schöne Woche! #vocalfriday
Diebe im Olymp – Das Percy-Jackson-Musical!
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