Generell lässt sich da wieder einmal keine eindeutige Regel ableiten. Denn prinzipiell könnte man es schon so ausdrücken: Mehr Luft eingeatmet, mehr Luft zum Ausatmen – also zum Singen – zur Verfügung. Das mag für längere, hauchige Passagen viiiielleicht iiiirgendwie in seltenen Fällen schon mal die Devise sein, aber nicht nur für Beltingtöne, bzw. lautere, klarere Töne kann zu viel Luft schon einmal auch zum Problem werden.
Jetzt gibt’s über die Atmung für’s Singen überhaupt manchmal Diskussion. Muss man Atmen lernen und so weiter… Dazu hier der Link zu ein paar älteren Blogartikeln:
#39 Zu viel Stütze – gibt’s das?
#38 Wie stütze ich richtig?
#17 Atmen für Sänger:innen – vier Missverständnisse
Während einer Performance empfinde ich es persönlich als hilfreich, das Bild vom „Luft einströmen lassen“ zu verwenden. Ich weiß schon, das sind jetzt semantische Spitzfindigkeiten (oder Umständlichkeiten), wenn man „die Luft einströmen lasst“ „anstatt“ „einzuatmen“. Aber es macht für mich schon einen Unterschied in der Wahrnehmung, ob ich jetzt wie ein Ertrinkender nach Luft japse oder meinen Bauch bewusst entspanne, und den natürlichen Einatemreflex ein wenig gekonnter ausnutze, um mein Lungenvolumen wieder optimal aufzufüllen.

(c) Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay
Zu viel Luft einatmen bedeutet viel Zurückhalten der Luft
Das „Luft einströmen lassen“ hat zwei Vorteile. Erstens: Ich vermeide es, mehr Luft einzuatmen, als ich für’s Singen gebrauchen kann. Zweitens: Es schafft eine natürliche Art des Abspannes, des Loslassens. Selbst bei der geübtesten Sängerin schleichen sich ab und zu ein paar ungewollte Verspannungen und Kleinigkeiten ein, die sich durch ein Lied mitschleppen oder gar potenzieren, je länger die Verspannung und das Lied andauert. Jede Atempause, jedes Lufteinströmenlassen, kann und sollte man dafür nutzen, wirklich loszulassen. Die Bauchmuskelspannung, das Kinn vielleicht, den kleinen Finger, das zuckende Auge… haha. Das System auf null stellen, oder besser: Wieder auf Einsatzbereitschaft stellen.
Ich springe noch einmal zurück zu Punkt eins: Manchmal kann zu viel Luft tatsächlich ein Problem werden. Denn tatsächlich sind wir beim Singen immer auch ein Stück weit damit beschäftigt, Luft zurückzuhalten. Wenn wir uns jetzt wie ein Kugelfisch mit Luft aufblasen, sind unsere Muskeln auch damit beschäftigt, diese Luft auch zurückzuhalten, dass wir sie nicht – verzeiht mir das Bild – während der ersten Töne quasi Luft herausrülpsen müssen, weil der „Druck“ zu hoch ist. Okay schlechtes Bild… Nicht nur, weil ungustiös … Sondern weil: Rülpsen ist natürlich Luft aus der Speiseröhre, die nicht an den Stimmbändern vorbeirauscht… Aber ja, ein „Bild“ eben: von wegen, Luft nicht zurückhalten können … Das kann zur Folge haben, dass wir zu viel Druck haben – oder, dass wir fast sogar Pausen einlegen, um überflüssige Luft loszuwerden. Auch nicht ideal.
Zu viel Luft, zu viel Druck
Auf der Social Media-Seite von Estill Voice Training ist mir unlängst dieses Meme untergekommen, das mich zum Schmunzeln gebracht hat 🙂 … Natürlich samt Werbung für einen Estill-Kurs … Hier geht’s zum Originalpost (, den ich leider hier nicht einbetten kann).

Warum ist zu viel Luft gerade bei Belting eher problematisch? Das liegt am Setting der Stimmbänder für diesen lauten, klaren, metallischen, rufenden Klangcharakter. Denn die Stimmbänder sind dabei eher kurz gehalten, dick – und vor allem: haben eine hohe Verschlussphase. Zur kurzen Erklärung. Wenn wir ein A4 singen, kommen unsere Stimmbänder rund 440 Mal in der Sekunde zusammen (440 Hertz). Aber wie lange die Verschlussphase und die offene Phase innerhalb einer Schwingung ist, das hängt von anderen Faktoren ab. Bei lauteren Bruststimmklängen zum Beispiel ist die Phase, in der die Stimmbänder geschlossen sind, eben deutlich höher. Was wiederum heißt, der „Luftstau“ darunter ist größer. Ein schmaler Grat generell. Denn nach außen dringt nicht viel davon. Während man bei hauchigen Tönen evtl. die Luft auf dem Handrücken spürt, wenn man sich diese vor den Mund hält, ist das bei Belting deutlich geringer, bzw. eigentlich gar nicht der Fall. Das heißt, wenn wir wir zu viel Luft aktiv einatmen, uns quasi „aufblasen“, wenn wir uns vor einer längeren Belting-Phrase sind, dann könnte das auch mehr Anstrengung bedeuten. Denn diese Luft müssen wir eben unter den Stimmbändern halten.
Es KANN also durchaus ein Faktor sein. Meiner Erfahrung nach ist es das auch bei einer wesentlichen Gruppe der Wannabe-Belter der Fall. Die Mehrheit der Einsteiger:innen in diesen Sound hat allerdings oft schlicht zu wenig Power und Lautstärke. Wie gesagt: Jede:r Sänger:in hat andere Gewohnheiten und Stolpersteine als solche zu entschlüsseln.
Eine Übung
Eine gute – und nicht gerade wahnsinnig geheim-innovative – Übung für diesen Bereich ist das lange „sss“ oder „fff“. Vor allem, um das Lufteinströmenlassen zu üben und zu spüren.
- Legt eine Hand auf den Bauch, unter den Nabel (Daumen ca. auf Nabelhöhe), die andere auf den Solarplexus-Bereich – unmittelbar unter das Brustbein, knapp unterhalb des Rippenbogens.
- Atmet aus! Und lasst die Luft daraufhin kurz und knackig (aber gefühlt „entspannt“) einströmen. Nicht zu langsam – und nicht wirklich Luft „einziehen“.
- Atmet auf einem stimmlosen „sss“ oder einem „fff“ oder auch stimmhaftem „v“ oder „w“ oder „s“ aus
- Achtet auf Gleichmäßigkeit des Geräuschs, des Klangs.
- Beobachtet eure Hände. Wie langsam oder schnell geht die untere Hand nach innen. Die obere Hand (Solarplexus) sollte stabil bleiben, bzw. evtl. sogar ein wenig „nach außen“ gedacht werden. Wann müsst ihr wo dagegen arbeiten, um eure letzten Luftreserven zu aktivieren? Wie anstrengend ist die erste Phase – je nachdem wie viel Luft ihr eingeatmet habt?
- WICHTIG ist der Moment, wenn euch die Luft ausgeht – nicht bis zum letzten Molekül ausatmen… aber doch so lange es geht. DANN: wirklich die Luft einströmen lassen! Nicht die Luft einziehen und die Einatmung in die Länge ziehen! Schultern entspannt, Bauch entspannt, Kiefer entspannt. Luft durch den Mund (evtl. auch durch die Nase, KEINESFALLS aber NUR durch die Nase) einströmen lassen und nochmal die Übung beginnen.
- Manchmal ganz lustig/interessant: Zeit messen, wie lange könnt ihr das „sss“ halten? 30 Sekunden wären mal ein gutes erstes Ziel.
Also immer schön „die Luft einströmen lassen“ – und diesen Reflex gut üben. Jede noch so kleine Atempause ist DIE Chance, euer Setting wieder auf null zu setzen, bzw. neu zu justieren!

Mega! Supergut erklärt und lustig obendrein. Wow!
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