#82 Impostor-Syndrom: Wann wird herauskommen, dass ich eigentlich nichts kann?

Ich bin nicht gut genug. Ich tue nur so, als würde ich gut singen. Nur nicht anmerken lassen, dass ich eigentlich nichts kann. Irgendwann werde ich auffliegen und alle werden es sehen. Na, kommt euch das bekannt vor? Heute geht’s um ein Gefühl, das gerade bei Künstler:innen immer wieder hochkocht. Also, was ist das Hochstapler-Syndrom? Wir fragen kurz nach bei Wikipedia. Vielleicht nicht die verlässlichste Seite für Lebenstipps, aber für Definitionen soll’s uns reichen … 🙂

Das Hochstapler-Syndrom, teilweise auch Impostor-Syndrom, Impostor-Phänomen, Mogelpackungs-Syndrom, Scharlatan-Syndrom, Schaumschläger-Syndrom oder Betrüger-Phänomen genannt, ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Betroffene von massiven Selbstzweifeln hinsichtlich eigener Fähigkeiten, Leistungen und Erfolge geplagt werden und unfähig sind, ihre persönlichen Erfolge zu internalisieren.

Wikipedia, beste aller zitierbaren Quellen 😉
Wer hat im Lockdown nicht „Among Us“ gespielt? (Empfehlung auch für jetzt, lustiges Gruppenspiel online.) Da gibt’s auch einiger Impostors ausfindig zu machen… (c) Bild von Diego Alvarado auf Pixabay

Jetzt gibt’s da natürlich unterschiedliche Ausprägungen – von einfachen Selbstzweifel bis zur wirklich belastenden Situation, die Menschen daran hindert, sich zu entfalten, bzw. ihre Leidenschaft für die Musik auszuleben. Ich bin kein Psychologe oder Psychotherapeut – #surprise – aber für unseren Alltag als Sänger:in oder als Gesangslehrer:in könnten wir vor allem dem letzten Halbsatz der Wikipedia-Definition ab und zu ein wenig Aufmerksam schenken. Betroffene sind also unfähig, ihre persönlichen Erfolge zu internalisieren. Wir spielen also ein gutes Konzert, oder machen eine wunderbare Coaching-Session mit (vielleicht auch nur kleineren) Erfolgen unserer Sänger:innen – aber wir sehen das nicht. Wir hängen gedanklich am Versagen, an den Dingen, die nicht funktionieren, an Kleinigkeiten. Vielleicht glauben wir sogar, Glück gehabt zu haben, wenn mal was gut läuft. Wir erfreuen uns nicht an Dingen, die wir gut gemeistert haben. Wir ziehen daraus keinen Selbstwert.

Wichtig: Wer wirklich unter dem Hochstapler-Syndrom leidet, der oder die ist natürlich gut beraten, sich professionelle Hilfe und Betreuung zu suchen. In Wien gibt es zum Beispiel die Sorgenhotline des psychosozialen Diensts, die eine erste Anlaufstelle bei psychischen Problemen sein kann: 01 4000 53000. Gute Sache übrigens!

Umgehen mit Selbstzweifeln

Ich muss euch ehrlich sagen, Selbstzweifel schleichen sich für mich persönlich vor allem als Vocal Coach ein. Auf der Bühne bin ich natürlich auch mein größter Kritiker, aber ich kann da Erfolge gut spüren und auch über einzelne Fehler oder Unsicherheiten hinwegsehen – und -singen. Als Vocal Coach ist die Situation anders, weil man Verantwortung nicht nur für sich selber hat. Es ist eine Art Druck, wenn man Geld von jemandem bekommt, der*die im Austausch dafür besser singen, bzw. seine/ihre Ziele erreichen möchte. Und auch wenn man als sogenannter „Gesangslehrer“ noch so viel weiß, jemand anderes weiß garantiert mehr, könnte schneller und besser, ja effizienter, helfen. Oder kennt sich in diesem oder jenem Gebiet garantiert besser aus. Das wird immer so sein. Das ist nicht einmal ein Hirngespinst, das ist tatsächlich so.

Was mir am meisten dabei geholfen hat? Reden! Mit anderen Gesangslehrer:innen, anderen Vocal Coaches. Wir sitzen doch alle im selben Boot, wir geben alle unser Bestes. Und, was mir noch geholfen hat: Offenheit. Mich nicht dem Druck aussetzen, alles wissen und können zu müssen. Und drittens: Verantwortung abgeben.

Ja, Verantwortung abgeben – und zwar an die Sänger:innen. Klar bin ich dafür da, Wege zu zeigen, Lösungen zu suchen, die passen. Aber ich bin nicht automatisch ein schlechter Gesangslehrer, wenn es einmal eine Phase gibt, in denen wenig weitergeht. Ich kann motivieren und Tools zeigen, die zum Üben motivieren – aber wer neu Erlerntes nicht internalisiert, nicht übt, wird kleinere Fortschritte machen. Und das zum Beispiel ist auch die Verantwortung des*der Sänger:in. Wie er oder sie die Sache angehen will. Und: Nicht jede Stunde kann DEN Mega-Fortschritt bringen. Das passiert vielleicht in der ersten oder zweiten Stunde, wenn ein Tool so richtig neues Potenzial entfacht. Aber es ist nicht möglich, dass jede Stunde eine Offenbarung ist.

Diesen „Druck der perfekten Session“, habe ich aufgegeben. Fokus auf den*die Sänger:in, mein Bestes geben, positiv bleiben, Spaß haben, fokussiert arbeiten, Ende Gelände. Ich habe auch keine Lust, perfekt und allwissend dabei rüberzukommen. Das mag vielleicht von anderen als Schwäche interpretiert werden, aber ich bin immer offen und ehrlich, wenn ich ein bisserl in einer Sackgasse bin. Wenn ich Dinge erst ausprobieren muss mit den Sänger:innen. Wenn wir gemeinsam herausfinden müssen, in welche Richtung wir weiter gehen. Dann ist das halt so. Und manchmal kommt man auch einen Punkt, wo man eingestehen muss, man kann nicht (mehr) weiterhelfen. Und das ist okay.

Noch ein Punkt, den man akzeptieren kann – ja muss: Nicht für jede:n kann ich ein guter Vocal Coach sein. Das mag vom Genre her offensichtlicher der Fall sein, das kann aber auch eine Abneigung gegen meine Art, Dinge zu erklären, sein. Oder eine Abneigung gegen meine Art per se, gegen mich – bzw. umgekehrt. Wer einmal singen kommt und sich danach nicht mehr meldet: Es ist okay. Viele andere sind geblieben. Konnte ich jemandem nicht helfen? Nicht ideal – was kann ich daraus lernen? Aber wie vielen anderen habe ich weiterhelfen können?

Erfolge wertschätzen – und aufschreiben!

Und ich denke, diese Versagensangst, oder die Angst, ein Hochstapler zu sein, ist für darstellende Künstler:innen ähnlich. Manche Sänger:innen werden gebucht, immer wieder, werden gelobt, immer wieder – aber sie glauben trotzdem, dass sie nicht gut sind. Und jeder Job, den man dann doch nicht bekommt, ist eine Bestätigung dieses negativen Selbstbilds.

Ich komme hier ein wenig vom Hundertsten ins Tausendste… Aber ich hab gerade ein paar Zeilen für die „Presse am Sonntag“ geschrieben, es ging um die Balance Freizeit und Beruf – und wie schwer das als Musiker:in überhaupt zu trennen ist. Und klar ist mein Beruf auch mein Hobby. Aber ich bin dennoch Sänger von Beruf, ich bin Profi! Auch wenn ich in einem anderen Job 20 Stunden arbeite. Bin ich deshalb weniger wert als Musiker:in? Muss ich mich rechtfertigen? Nein! Dasselbe gilt manchmal für Menschen, das spüre ich immer wieder so zwischen den Zeilen, die ihr Instrument nicht studiert haben. Hört auf, euch dafür zu entschuldigen, oder eure Fähigkeiten deshalb kleinzureden. Nobody cares! 🙂 Seid mutig, macht Musik, seid Musiker:in.

Was uns zu einer von Wikipedia formulierten Lösung des Problems bringt… Abgesehen von der dort ebenfalls beschriebenen kognitiven Verhaltenstherapie, die einem die zerstörerischen Gedanken bewusst machen soll. Aber – und in milden Fällen von Selbstzweifeln vielleicht ein erster Schritt:

Schreibtherapie erlaubt der Person, ihre Gedanken besser zu organisieren. Sobald die Person ihre Erfolge sehen kann, anstatt sie nur intern im Kopf zu bewerten, ist sie nach dieser Methode besser in der Lage, die Erfolge realistisch zu bewerten. Der Text kann auch als Erinnerung an vergangene Leistungen dienen.

Wikipedia

Versteht ihr jetzt, weshalb es den vocalfriday-Blog überhaupt gibt? 🙂 Haha, ich wünsch‘ euch eine schöne Woche!

Habt ihr schon Tickets für „Diebe im Olymp“, das Percy-Jackson-Musical?
Nein? Zeit wird’s! Ich stehe zehn Mal in Wiener Neustadt als Teenager-Halbgott Percy Jackson auf der Bühne in Wiener Neustadt und würde mich freuen, euch dort zu sehen!
www.theaterimneukloster.at/tickets.php

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

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