Hast du ein Konzert mit 10 bis 20 Songs hast du Zeit zu brillieren. Geht bei einem Lied einmal ein Ton daneben? Sei’s drum! Und jetzt stell dir vor, du bist beim Song Contest… Hast das eine Lied zwar schon Dutzende Male von dir gegeben, aber du hast genau drei Minuten Zeit, das Publikum zu überzeugen. Und das sitzt noch dazu in Lästerlaune vor dem TV und zerpflückt jeden Ton, als wärs ein verunglückter Elfmeter im Cupfinale. So viele Gesangsprofis gibt’s da plötzlich. Und da ich am Dienstag und Donnerstag für die „Presse“ den Song Contest (vom Fernseher aus) beobachtet hab, bekommt ihr hier noch ein paar Gedanken ab, die in den Texten wenig bis gar keinen Platz finden… Also verzeiht mir den einen oder anderen Tippsler, ich hau‘ die Texte dieser Tage nur so aus dem Ärmel…
Aber natürlich: Man kann schon erwarten, dass da was Gutes geliefert wird. Wer aus welchen Gründen mit der Intonation kämpft, hat seinen Job irgendwie nicht abgeliefert. Man muss halt auch dazusagen, deswegen muss man die Sängerin, den Sänger nicht gleich als „schlecht“ abstempeln. Wir kennen das doch: Das Monitoring versagt, die Stimme kratzt plötzlich, der Kopf schmerzt – es kann tausend Gründe haben. Nervosität natürlich, aber die müsste halt schon eingepreist sein in der Vorbereitung.
Und wie auf’s Stichwort läuft „Halo“ bei mir im Radio. Erinnert ihr euch? Jene Performance von Pia Maria (mit DJ Lumix) letztes Jahr für Österreich? Was wurde sie nicht geroastet, weil sie gesanglich den Song nicht rüberbrachte. Es war tatsächlich wahnsinnig herzzerreißend, ihr zuzusehen und -hören. Also, weil sie so Probleme hatte, die Intonation genau zu treffen. Der Song war schon einen Halbton tiefer als die Single. Und die Backingsvocals haben unisono (also dieselbe Melodie) gesungen – evtl. um Pia Maria zu unterstützen? Aber das ging nach hinten los. Die Sängerin war ständig um ein paar Hertz zu hoch dran, es rieb sich gewaltig. Und dazu das verzweifelte Gesicht, der Wille, alles gut zu machen und die Angst, dass es nicht klappt, weil es ja in den Proben auch schon nicht gut lief… Eine Horror-Kombi… Also wie gesagt: Da lief vieles schief, aber vor allem muss man sich schon fragen, warum sich der ORF und das erfahrene Team nicht früh genug geprüft haben, ob Pia Maria den Track live auch solide performen kann…
Was uns zu Teya und Salena bringt, die heuer für Österreich am Start sind. Wieder ein schnelles Lied. Aber sie sind nun einmal zu zweit, können sich abwechseln, müssen dafür einige tricky Harmonien singen.

Während Pia Maria auf sich alleine gestellt war (und auch nur rumstehen musste/durfte), hatten Teya und Salena einander. Bei den beiden saß wirklich fast jeder Ton, jede Harmonie. Bei der Aufregung wirklich keine einfache Angelegenheit. Vor allem diese Kopfstimm-Stelle („O Mio Padre…“)… Ganz am Ende (als die Stelle ein letztes Mal kam) hat man auch gehört, dass da der Atem ein bissl flacher ging… beim „oh“, beim vorletzten Ton. Aber who cares? Da war der Kuchen bereits gegessen. Und er hat bestens gschmeckt. Dieser Wechsel von Power-Sprechgesang, einigen Belting-Phrasen – und Choral-Gesang: Keine leichte Aufgabe.
Was mich fasziniert hat: Einer der beiden gedanklich/sängerisch zu folgen. Also: Wer singt wann was. Da wechselt die eine von einer Unterstimme zu „Poe Poe Poe“ in die Hauptstimme und retour. Da die richtige Energie an den richtigen Ort zu bringen ist eine wahre Kunst. Hier das Video vom Halbfinale gestern (Donnerstag, 11. Mai 2023).
Der einzige Kritikpunkt war gestern die Bühnenperformance. (Minimaler Kritikpunkt, wenn’s nach mir geht) Auch wenn man den beiden die Freude ansah, irgendwie könnte man die Choreo etwas stärker und energiegeladener absolvieren – auch wenn’s eine nicht wirklich ernst gemeinte Choreo ist. Ein bisserl mehr Umpf hätte da irgendwie nicht geschadet. Aber vielleicht geht da noch was in Richtung Finale. Irgendwie müsste der Druck jetzt ja abgefallen sein. Um den Sieg kämpfen (angeblich) eh andere, aber ein Top-Ten-Platz ist sicher möglich, vielleicht auch ein Stockerlplatz, man weiß ja nie.
Und jetzt muss ich noch den Bogen zu meinem Titel spannen… Es gibt schon einen Grund, warum Sänger:innen immer gerne Balladen singen… Man kann sich ausbreiten. Man hat lange Töne, Platz zu interpretieren, Platz sein Können, seinen Klang zu zeigen. Man kann schwelgen und schmettern und hauchen und protzen. Die Musik hält sich dabei angenehm zurück. Schon mal versucht „Who The Hell Is Edgar“ mit Karaoketrack zu singen? (Hier die dazu meiner Meinung nach geeignetste Version auf Youtube) Wird nicht der Reißer auf der Karaokeparty oder beim Klassenabend, egal wie gut du dich anstrengst. (Haha, that’s the spirit… sorry) Okay, wenn der Track gut ist und alle mittanzen… Dann hau rein 🙂 Du musst in time sein, also pünktlich die Silben ausspucken, die Harmonien treffen (wenn du wen findest, der mitsingt). Die sind in der Schnelle bei vielen gleichen Tönen auch schwer parallel zu halten, vor allem wenn du versuchst auch noch zu performen und die Choreo zu meistern. Etwa im zweiten Refrain, wenn sie „O Mio Padre“ zweistimmig und soft über den Beat singen. Und du hast nur ganz kurze Phrasen, um subjektiv „geil“ zu singen – also etwa die „O Mio Padre“ im letzten Refrain, wo der Beat weitertreibt und die beiden je ein zwei Phrasen drüberhauen (adlib-Style) – das ist ohnehin meine Lieblingsstelle.
Ihr seht, das ist Tausend mal schwieriger als eine Ballade, wo ich mir auch die hohen Töne irgendwie dorthinlegen kann, wo sie meine Stimme liegen (vor allem, wenn die Nummer eigentlich für mich produziert wird…).
Umso erstaunlicher, dass „Halo“ letztes Jahr so dermaßen in den Sand gesetzt wurde. Ein Schicksal, das heuer auch Reiley aus Dänemark ereilt hat. Der Arme hat mit seinen Falsett-Tönen zu kämpfen gehabt. Denn davon gibts in seinem Lied genug…
Das Problem, es waren relativ tiefe Falsett-Töne. So rund um den Bruch bei F4. Und da ging in der ersten Songhälfte so ziemlich alles daneben. Viele Töne zu hoch (zu viel Energie für diese komische Falsett-Lage) Er fing sich erst ab der zweiten Refrainhälfte, teils. Schade. Das ist ein netter Pop-Song.
So, das war mein schneller Song-Contest-Rundumschlag, den ich aus Aktualitätsgründen eingeschoben habe. Bis nächste Woche! Wer schaut das Finale?
Hier noch meine amtlichen Song-Contest-Texte für die „Presse“, wer noch mehr zum Thema lesen will:
Analyse: Teya und Selena singen sich souverän ins Finale
Die 16 Songs des zweiten Semifinales in der Einzelkritik
Das Song-Contest-Duell: Loreen-Aufguss gegen Rammstein-Vengaboy
Die 15 Songs des ersten Semifinales in der Einzelkritik
Diebe im Olymp – das Percy-Jackson-Musical
Habt ihr schon Karten? Einige Shows stehen noch an. Ich liebe dieses rockig-quirky Stück einfach und freu mich jedes Mal darauf, als Percy Jackson auf der Bühne zu stehen! Schaut vorbei!
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