
Ich weiß ja nicht, ob Sie’s schon wussten… aber ich persönlich bin ja Fan von klaren Beschreibungen bei Gesangstechnik, von anatomisch-logischen Beschreibungen. Aber das heißt jetzt nicht unbedingt, dass das der Goldene Weg ist. Nur weil ich weiß, dass es vielleicht gut wäre, den linken Stellknorpel ein bisserl zu aktivieren am hohen C (Achtung, Sarkasmus!), heißt das noch lange nicht, dass ich das auch so umsetzen kann. Vielleicht wäre es sinnvoller, mir eine Emotion vorzustellen oder einen Klang nachzuahmen – mit derselben Wirkung – nämlich dass mein linker Stellknorpel automatisch das Richtige macht. Und irgendwie ist diese Frage ja der Kern jeglicher Gesangspädagogik. Denn wir sehen nun mal nicht, was die Stimmbänder beim Singen so machen und welche Mechanismen dabei eine Rolle spielen.
Umso schwerer tue ich mir (persönlich) mit der bildhaften Sprache, die sich traditionell in der Gesangspädagogik durchgesetzt hat. Aber ich verteufle sie auch nicht. Denn sie ergibt schon auch Sinn – solange Sänger*innen auch wissen, dass es „ein Bild“ ist und keine anatomische Beschreibung. Im Titel hab ich ein paar Klassiker der Gesangslehrer*innen-sprache schon in den Ring geworfen: Bauchatmung, in die Maske singen, und der heilige Gral des klassischen Gesangs: die offene Kehle. Alle diese Begriffe bräuchten eigentlich leuchtend gelbe Anführungszeichen, denn wir atmen weder mit oder in den Bauch, noch setzen wir Masken auf, in die wir singen, oder schlitzen uns den Hals auf, um die Kehle zu öffnen. Oder? Und von Kopf- und Bruststimme reden wir erst gar nicht 😉
Luft im Bauch? Ein Fall für den Arzt
Natürlich: Captain Obvious. So blöd sind wir ja alle nicht, dass wir das glauben. Aber gerade bei der Bauchatmung können schon rasch Missverständnisse entstehen. Das Zwerchfell senkt sich ab beim Einatmen und quetscht die Eingeweide im Bauch daher ein wenig zusammen und nach unten, was sich wiederum im Rausschieben des Bauchs zeigt. Bzw. zeigen kann. Denn manche atmen völlig entspannt und ungehindert und nehmen dennoch keine massive Bewegung im Bauch wahr. Solange keine Probleme auftauchen, alles kein Drama. Luft kommt jedenfalls nur in die Lunge. Mehr Gedanken zum Thema Atmung gibt’s übrigens nächste Woche hier im Blog. Ich sage eher meist: „Lass die Luft tief einströmen“ – oder so Ähnlich. Macht jetzt nicht den Mega-Unterschied. Aber doch ein bisschen, oder?
Bei der offenen Kehle kann man gar nicht so recht sagen, was das eigentlich ist. Wissenschaftlich-anatomisch gibt’s da nämlich aus meiner Sicht gar keine eindeutige Antwort. Es ist ein Konstrukt, das von Mensch zu Mensch, von Soundideal zu Soundideal unterschiedlich ist. Klar – irgendwie geht es um „freies Singen“, das sich gut anfühlt. In der Klassik mit dem dunklen Klangideal vielleicht in Kombination mit hohem Gaumensegel und tiefem Kehlkopf um den Vokaltrakt so groß wie möglich zu machen. Und doch: Wir formen den Klang doch immer irgendwie: mit Kehlkopftrichter (Twang), Rachenmuskeln, Zunge. Wir lassen nicht alles locker und schon gar nicht weiten wir aaaalle Elemente.
Die Suche nach dem „offenen Rachen“ kann für manche Sänger*innen folglich ein komplettes Missverständnis sein, das sie daran hindert, einen klaren, lauten und gesunden Ton zu produzieren. Manche nehmen den „offenen Rachen“ nämlich für sich selbst möglicherweise komplett anders wahr: eher als „engen Raum“ oder „Laserstrahl aus der Stirn“. Alles möglich – und auch bildhaft, natürlich. Aber ein Beharren auf dem „offenen Rachen“ führt manchmal zu nichts, außer Verwirrung.
Mehr Resonanz? Eine Frage der Formanten – also der Akustik
Und dann noch einer meiner Lieblinge: „In die Maske singen“. Mit Maske ist das Gesicht gemeint, „nach vorne“ singen. Und der Ausdruck hätte sich nicht durchgesetzt in der klassischen Gesangspädagogik, wenn er nicht für viele Menschen hilfreich wäre. Wenn man fühlt, wie möglicherweise die Wangenknochen oder das Oberkiefer zu vibrieren scheinen oder der Klang sich anfühlt, als würde er aus den Augen purzeln. Das könnte man dann „guten Stimmsitz“ nennen – die Stimmbänder können „frei“ schwingen und aneinanderklatschen ohne sich dabei wehzutun 🙂
Aber anatomisch tut sich im Gesicht genau nix, nada, niente, null komma Josef! Wir können unseren Ton, der in den Stimmbändern auf dem Luftstrom entsteht, am Weg zu den Lippen formen und ihm einen Klang und einen Laut/Vokal geben. Wir können entscheiden, ob wir die schwingende Luft „in die Nase schicken“. Das war’s dann auch. That’s it. Ich kann nicht „in“ oder „mit“ den Nebenhöhlen singen. Ich kann keine „Resonanzräume öffnen“. Es gibt keine Türe, die es zu öffnen gilt. Niemand kann das. Aaaaber….!
Es gibt immer ein Aber! Es kann sich durch Vibrationen natürlich so anfühlen, wenn plötzlich eben die Wangenknochen etwa vibrieren und der Ton sich sicher und voll anfühlt und -hört. Und das ist nichts anderes als Physik, Obertöne, Formanten und anderes Akustik-Zeug, in dem ich mich nicht ganz so sattelfest fühle, um euch jetzt damit vollzulabern. Manche Formanten (Frequenzen/Obertöne, die verstärkt werden innerhalb eines Tones und den Vokal auch definieren) helfen uns dabei, einen Ton gut zu singen. Wie wir den Ton formen, wirkt eben zurück auf die Stimmbänder. Ein Beispiel dafür wäre etwa, dass ein Vokal „eh“ uns eher in der „Bruststimme“ hält, als ein „uh“, bei dem die Stimme gerne mal in „Kopfstimme“ kippt in höheren Lagen, wenn wir nicht ein paar Tricks parat haben. Das hat alles akustische Gründe. Bei den Cool-Kids der Gesangspädagogik ist deshalb nicht nur von „Vokaltrakt-Tuning“, sondern von „Formanten-Tuning“ die Rede. Und das ist auch keine Erfindung der Pop-Menschen, das machen die Klassiker so schon auch lange.
Aber um hier den thematischen Bogen mal zu schließen, ohne jetzt in das weite Reich der Akustik abzutauchen: Auf einem tradierten Begriff herumzureiten, der eigentlich anatomisch-logisch nicht richtig ist, ist manchmal sinnlos und führt eher zu Verwirrung. Natürlich muss nicht jede*r Sänger*in jeden anatomischen Muskel-/Nerven-Zusammenhang wissen oder verstehen – manchmal tut’s eben auch eine Emotion, das Bild, das Klangbeispiel, die/das auf dem Weg zum gewünschten Klang helfen. Aber wir Pädagog*innen müssen solche Begriffe zumindest hinterfragen und erklären können. Dann spricht ja nichts dagegen, auch einmal von „Bauchatmung“ zu sprechen oder von „offener Kehle“, wenn alle Beteiligten wirklich begriffen haben, worum’s geht.
Ich bin ja gern ein Besserwisser und Aussprache- und Redewendungs-Korrigierer – ask anyone 😉 – aber das sollte jetzt kein Aufruf sein, die oben ein bisserl beschriebenen Ausdrücke aus dem Vokabular zu streichen. „Entschuldigen Sie, das Wort ‚Bauchatmung‘ ist aber nicht anatomisch korrekt!“ (Gruß aus den „Känguru-Chroniken“). Das wäre ja ur anstrengend – und unnötig. Aber hinterfragen. Nicht einfach nur den Begriff hinwerfen oder hinnehmen: „Sing doch mehr in die Maske“. Dann kann ich’s gleich „in a Sackerl sprechen“ und mir später anhören, wie eine gute alte österreichische Redewendung lautet.
Also immer schön konkret bleiben
Diesen Blog habe ich übrigens am berühmten Berliner Flughafen BER getippt. Eine persönliche Premiere für mich, ich war da noch nie. Hatte die Ehre ein paar Tage in Wismar und Stralsund zu verbringen – als Reise-Reportage für die „Presse“. Soviel kann ich schon sagen: Mecklenburg-Vorpommern ist schon eine Reise wert, wenn man an netten Hanse-Städtchen mit ihrer wechselhaften Geschichte, der Ostsee, Fischbrötchen und Natur interessiert ist. Und man Marzipan mag. In meinem Fall: Quintuplex-Check! Trotz dicht gedrängten Terminen und Programm auf der Reise war’s für mein Hirn eine gute Auslüftung am Meer bevor’s in den intensiven Herbst geht.
Wünsche euch allen einen schönen #vocalfriday und ein angenehmes Wochenende! Und singt einfach mal wieder! Youtube-Karaoke-Track eurer Wahl an und los gehts! 🙂
Coming up on Vocalfriday #17
Atmen (nicht) vergessen – Singen ist in die Länge gezogenes Ausatmen mit Hindernissen. Bäm. Mindblowing? Doch muss man deswegen „ein Fass aufmachen“ beim Thema Atmen? (Sorry, war ein paar Tage in Norddeutschland.) Machen wir das nicht eh alle automatisch, also Atmen? Klar. Aber effektiv? Nicht jede*r, der*die in die erste Gesangsstunde kommt, muss erst „lernen, wie man atmet“. Es geht darum, die Luft effektiv einzusetzen. Und in Ausnahmefällen auch, wie man die Lungen richtig und effektiv füllt. Ihr kennt das ja: Es sind halt nicht alle Menschen gleich 🙂
am 22.10. hier im Blog