#12 Kopfstimme 01. Wooo!

Hier wird „gewooot“ – fast ausschließlich in Kopfstimme. Ein Ausschnitt aus „How I Met Your Mother“.

Und jetzt alle mal ganz laut, als würden wir ein Konzert bejubeln: „Woo-woo-woo!“ Also: „Whu“, mit „u“, in relativ hoher Stimme, mit relativ großer Begeistern. (So wie die „Woo-Girls“ aus „How I Met Your Mother“, wer die Serie kennt…, siehe Video oben) Geklappt? Willkommen in der „Kopfstimme“. Ich bleibe vorerst bei Anführungszeichen. Der Begriff ist mit vielen Vorurteilen behaftet. So viele Themen schwingen da mit, die mitunter kontrovers diskutiert werden: Register, Bruch (Break), Resonanz, Falsett,… Ich habe sicher schon einmal erwähnt, was mir sehr wichtig ist, in den ganzen Debatten: Cool bleiben 🙂 Und: Dass du (als Sänger:in) dich mit deinem Instrument auskennst und die Sounds abrufen kannst, die du möchtest. Ob du das jetzt Kopfstimme, Randstimme, Mix, Neutral, Rosa-Regenbogen-Stimme oder M2 nennst, ist nebensächlich.

Nun, das Problem mit der „Kopfstimme“ ist ein bisschen ihr Name, der weltweit eigentlich am meisten verbreitet ist: „Headvoice“. Singen wir mit Kopfstimme, fühlen viele Menschen Resonanzen eher im Kopfbereich, in der Stirn, Nasenhöhlen – und NICHT im Brustbein. Daher hat sich der Name durchgesetzt. Aber die Betonung liegt auf „viele Menschen“ und eben nicht ALLE Menschen. Ist ein bisschen wie die „Bauchatmung“, atmen tut halt schon die Lunge 😉 Und Klang entsteht eben immer in den Stimmbändern. Deshalb hat sich die wissenschaftliche Seite der Stimmforschung auf ein bisschen neutralere Begriffe geeinigt, die Leute, die cool sein wollen (ich, bitte ich!), verwenden: „M2“. Die „Kopfstimme“ als „Mechanism 2“ – und da kommen wir der Sache schon näher. Wenn wir in der Kopfstimme singen, schwingen unsere Stimmbänder anders, als wenn wir reden. (Manche Frauen sprechen auch teils in der Kopfstimme, aber großteils reden wir alle mit M1, „Bruststimme“).

Aber was passiert dabei mit unseren Stimmbändern?

Je höher der Ton, desto mehr werden unsere Stimmbänder in die Länge gezogen – das Gummibandl-Phänomen. Spannt man ein Gummiband und zupft daran, wird der Ton höher, je größer die Spannung und je länger das Gummiband. Jetzt sind unsere Stimmbänder aber nicht einfach nur Bänder wie Gitarrensaiten, sondern sie haben auch eine vertikale Fläche – die sogenannte Stimmbandmasse oder Stimmband-Kontaktfläche. Schließlich entsteht der Ton in der Stimme ja nicht durch Zupfen eines Bands, sondern durch das „Aneinanderklatschen“ zweier Stimmbänder, um die Luft in Schwingung zu versetzen. Und ein Faktor für den Klang, der entsteht, ist eben die Masse, die dabei „aneinanderklatscht“ (zB 440 Mal für ein eingestrichenes A). Im Folgenden eine Darstellung der Modalstimme, wie die Bruststimme auch genannt wird. Es gibt also eine relativ große Kontaktfläche.

Reinhard – Own Work, following M. Hirano, The vocal cord during phonation, Igaku no Ayumi 80 (1968), no. 10.

Bei tiefen Tönen, in denen die Stimmbänder nicht ganz so gespannt werden müssen, ist es leichter, die gesamte Fläche der Stimmbänder zu mitzubewegen. Je mehr wir unsere Stimmbänder spannen, desto schwieriger ist es, die gesamte Fläche/Masse in kurzer Zeit oft aufeinandertreffen zu lassen. Ergo: Die Masse/Fläche, die in unserem Kehlkopf von jedem Stimmband bewegt wird, nimmt ab. Und dann gibt es einen Punkt, an dem die Stimmbänder nur noch in der äußersten Schicht der Stimmbänder den Ton produzieren, der innere Kern des Stimmbands inaktiv wird – dann landen wir in der Kopfstimme.

Bewegung der Stimmlippen in der Falsettfunktion = Kopfstimme in unserem Fall.

Das Modell der einzelnen Schichten der Stimmlippen von Hirano ist auch schon einige Jahrzehnte alt – und die vielen, vielen weiteren Schichten in den Stimmbändern sind mittlerweile besser erforscht – aber als grobes Modell ist es mehr als ausreichend und immer noch aktuell.

Anno Lauten hat das alles, was ich in schwurbeligen 27 Absätzen ausgebreitet habe, auf der Website stimme.at etwas besser, knackiger und einfacher beschrieben – wenn auch mit seinen eigenen Vokabeln. Aber ich erlaube mir, das hier auszugsweise zu übernehmen, weil’s auf den Punkt gebracht ist:

Hier das Fazit! Lest zumindest das hier 🙂

  • Es gibt anatomisch nur eine Stimme
  • Schwingen die Stimmlippen in ihrer gesamten Längen und Masse, so spüren wir die Vibration und Resonanz im ganzen Oberkörper, vielleicht sogar bis in Hände und Füße. Dann sprechen wir von Vollstimme oder auch „Bruststimme“ oder „Bauchstimme“.
  • Schwingt nur ein Teil der Stimmlippenmasse, so resoniert die Stimme deutlich stärker im Kopf. Dann nennen wir die Stimmqualität „Randstimme oder auch „Kopfstimme“.
  • Sowohl im Vollstimm-Modus, als auch mit der Randstimme können wir hohe und tiefe, dunkle und helle Töne erzeugen.
  • Beide Stimm-Modi sind gut und richtig und je nach Musikstil sinnvoll einsetzbar. Und: mit dem richtigen Know-how trainierbar!

Für viele Sänger:innen kann der erste Punkt relevant und verwirrend gleichzeitig sein. Für mich als Coach ebenso. Denn: Klar, es gibt nur EINE Stimme. Und manche Sänger:innen spüren keinen großen Unterschied und können von M1 zu M2 fließend gleiten – ohne dass sie einen „Bruch“ verspüren. Für andere ist dieser „Bruch“, der Sprung von Brust- zu Kopfstimme, wie eine dicke Mauer, die sie nur langsam abbauen können. Diesen Sänger:innen zu sagen: Den „Bruch“ gibt es nicht, wäre pädagogisch fragwürdig. Denn hier müssten wir wohl konsequent an der Verbindung der Mechanismen arbeiten. Und das geht nur, wenn der/die Sänger:in auch weiß, was was ist.

Das große Register-Missverständnis

Ein kurzer Absatz noch zu Registern, die vor allem in der Klassik gelehrt werden, in der es fixe Klangvorstellungen in jeder Lage (je nach Geschlecht) gibt. Ich unterscheide sehr wohl auch eben zwischen M1 und M2, „Brust-“ und „Kopfstimme“. Aber das Missverständnis, das es oft gibt, ist, dass zum Beispiel ab F‘ ein Registerwechsel stattfinden MUSS. Aber dem ist (bis zu einem gewissen Grad) nicht so. Es gibt nicht DEN Übergang an fixer Stelle. In der Klassik, in der ein durchgängiges Soundideal herrscht, mag das so sein. Aber im Pop Rock/Contemporary kann ich als Künstler (anhand kreativer und technischer Kriterien) anders entscheiden. Ich kann als Frau auch ein C“ in „Bruststimme“ singen. Aber damit das gesund klappt, wird es mich etwas kosten: Support-Energie, Formanten-Tuning, Vokaltraktsetting – evtl. ohne viel Spielraum in punktgenauer Technik. Aber ich habe die Wahl. Und das ist das große Register-Missverständnis in meinen Augen.

Man kann ein und denselben Ton (eine Frequenz) sowohl in Bruststimme als auch in Kopfstimme singen, ich kann wählen. Natürlich gibt es eine Grenze und Regeln. Ich werde den tiefsten Ton meiner Range nicht in Kopfstimme bewerkstelligen – eh klar. Aber ich glaube, ihr wisst, was ich meine. Und wenn nicht: bitte schreibt mir 🙂 Jedenfalls: in Kombination mit Klangfarbe, Timbre, Technik kann ich die unterschiedlichsten Klänge erzeugen – sodass die Kopfstimme vielleicht fast schon so klingt wie die Bruststimme, weil sie voll und unluftig klingt.

Und weil der dieswöchige Blog-Eintrag schon so lange ist und ich aber noch mehr dazu schreiben würde – geht’s hier in der nächsten Woche weiter mit meinen „Top Drei Tipps“ zum Trainieren der Kopfstimme. Und ich weiß, ihr seid schon ganz neugierig: Was sagen die Menschen bei CVT und EVT (Estill Voice Training) dazu? Und macht die Kopfstimme einen Unterschied für Männer und Frauen – bzw. wie? Darum wirds dann in den nächsten Wochen gehen. Ein „Kopfstimmen“-Schwerpunkt am #vocalfriday. Oder sagen wir: M2-Special. Wir sind ja cool. Woo!

Coming up on Vocalfriday #13 – 15

DAS GROSSE M2-SPECIAL

#13 – erscheint am 24.9.
Die Top Drei Tipps für Kopfstimme finden, trainieren und „den Übergang“. Wie kann ich scheinbar mühelos – und vor allem ohne „Kiekser“ – den Sound wechseln? Vielleicht werden’s auch mehr Tipps… Minimum drei!

#14 – erscheint am 1.10.
Warum Männer im Alltag weniger mit ihrer Kopfstimme in Berührung kommen und Frauen von Anfang an in ihrem Sängerinnensein den „Bruch“, den „Vocalbreak“ eher spüren. Und warum es wichtig ist, Kids in Kindergärten und Schulen in ihrem angestammten Tonumfang singen zu lassen – und nicht in der Wunsch-Tonart der vielleicht etwas Höhen-scheuen Pädagaog:innen.

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

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