#78 Singe niemals, ohne diese drei Dinge zu beachten

Ich wollte heute ein wenig über die drei Grundprinzipien plaudern, wie sie die Complete Vocal Technique formuliert. Einerseits euch zeigen, was damit gemeint ist, wie ihr sie üben könnt – und drittens – natürlich – noch meinen Senf dazu geben. Und alle, die jetzt die Augen verdrehen – nicht schon wieder CVT – kann ich trösten: Die Grundprinzipien sind (fast) ganz ohne Sondervokabular und eigentlich in weiten Teil auch recht universell teil von Gesangstechnik, wie sie weltweit verstanden wird.

Was sind die drei Grundprinzipien bei CVT?

In der schematischen Überblicksgrafik von CVT ist es deutlich zu erkennen: Noch bevor wir uns mit Klang (Mode, Klangfarbe, Effekte) beschäftigen, müssen wir drei Dinge beachten:
1) Support (Stütze)
2) Notwendiger Twang („notwendig“ auch im Sinne von: so viel wie notwendig)
3) Vorschieben des Kinns vermeiden, Lippenspannungen vermeiden

Ich darf hier kurz einen Absatz von der CVT-Homepage zitieren: „Die drei allgemeinen Prinzipien sind die grundlegendsten und wichtigsten, die es zu perfektionieren gilt. Sie ermöglichen es, alle hohen und tiefen Töne innerhalb der Range des einzelnen Sängers zu erreichen, lange Phrasen zu singen, eine klare und kraftvolle Stimme zu haben und Heiserkeit zu vermeiden.“ Na, wenn das mal nicht Grund genug ist, sich damit wirklich gut zu beschäftigen?

(c) Complete Vocal Technique

1) Stütze: Sei bereit, hab Kontrolle über den Luftstrom

Mit diesem Grundprinzip beschäftigen sich Sänger:innen ohnehin immer, bzw. poppt das Thema oft auf. Und ich glaube, es sind sich alle einig: Stütze bzw. Support ist ein Faktor beim Singen, den es zu meistern gilt. Wie kann ich meinen Kehlkopf und meine Stimmbänder bestmöglich unterstützen, ihre Arbeit zu tun. Und durch welche Gewohnheit hindere ich sie daran. Und das kann je nach Sound, nach Lied, nach Tag, nach Mensch totaaaal unterschiedlich sein. Deswegen hier nur mein allgemeiner Tipp: Es lohnt sich, sich immer wieder mal selbst zu beobachten, was „Stütze“ für einen heißt und welche Gewohnheiten man so hat (und welche man evtl. wieder loswerden könnte…)

Hier ein paar Links zu älteren Artikeln von mir zum Thema Support/Stütze:
#39: Zu viel Stütze, gibt’s das?
#38: Wie stütze ich richtig? Don’t be a Slappfisk!
#17: Atmen kann doch jede:r – vier Missverständnisse über Sänger:innenatmung

2) Notwendiger Twang

Soda, jetzt geht’s dann schon los mit ein klein wenig Kontroverse. Über Twang (englisch ausgesprochen: Tuäng) wird im CCM-Gesangsunterricht (Contemporary Commercial Music) schon so viel geredet… Prinzipiell geht es um eine Verengung des Kehlkopftrichters. Und für mich stecken hier zwei wesentlich Dinge drin:

Erstens: Notwendiger Twang heißt nicht umsonst „notwendig“. Es geht darum, die Stimmbänder zu einem schönen Stimmbandschluss zu verhelfen und den Ton damit überhaupt erstmal tragfähig zu machen. Es geht NICHT darum, einen spezifischen Klang mit deutlichem Twang zu kreieren (Klischee-Country, -Musical zum Beispiel). Es geht lediglich darum, die Stimmbänder erst überhaupt einmal zusammenzubringen. Also: Kein Nebengeräusch, keine Luft. Und: Ton ist klar und hörbar und tragfähig.

Diese Verengung lernen wir am ehesten über das Nachmachen von Geräuschen, wie das Spielzeugauto (njeu) oder das Schaf (Bäh) oder die Ente (quäk). Wobei: Das sind eben schon deutliche Twang-Settings, die wir in höheren Lagen in manchen Klangqualitäten vielleicht später gut nutzen können, um den Ton noch tragfähig zu halten. Für die meisten Menschen wird es nicht notwendig sein, sich mit Twang zu beschäftigen, um überhaupt mal irgendeinen Ton zu singen. Aber wenn Singen generell hauchig, kratzig, nicht tragfähig ist, dann ist Twang als Werkzeug für mehr Stimmbandschluss äußerst hilfreich. (Genauso wie Support/Stütze). Das heißt aber eben NICHT, dass wir ständig mit super-twangy Sound singen sollen/wollen/müssen!

#48 Drei Twang-Missverständnisse
#31 Twang heißt das Zauberwort

Zweitens: Haben wir das Twang-Missverständnis einmal ausgeräumt, dann neige ich dazu, dieses CVT-Grundprinzip generell ein bisserl umzudeuten auf: „Stimmbandschluss“ (zu dem Twang eben beitragen kann). Das Üben und Erlernen eines vollen Tones. Luftig ist nett, wenn man den Effekt auch wieder abstellen kann. Stimmbandschluss also: Hier können SOVT-Übungen helfen. Also Übungen mit Strohhalmen oder „Lax Vox“ – oder ohne Hilfsmittel: Lippenrollen, stimmhaftes s oder v, Zungen-R … SOVT steht für Semioccluded Vocaltract. Also „halbverschlossener Vokaltrakt“. Wir bauen eine Engstelle in den Vokaltrakt ein. Ihr seht, diese Übungen haben quasi eine ähnliche Wirkung bzw. ein ähnliches Ziel wie Twang: Den Vokaltrakt zu verengen, um den Stimmbändern mit „zurückgeworfenem“ Druck von oben zu einem Stimmbandschluss zu verhelfen.

3) Kinn nicht nach vorne schieben, eh klar! Lippenspannung vermeiden? Häh?

Beim Kinn muss ich nicht so viel dazusagen, oder? Das macht schon Sinn. Das Kinn hat einfach einen großen Einfluss auf unseren Kehlkopf und wie frei er arbeiten kann. Mehr dazu hier:

#17 Kinnheitstrauma: Immer schön locker bleiben

Bei Menschen, die sich ein bisserl mit CVT beschäftigt haben, gibt es aber oft Fragen nach der angesprochenen Lippenspannung? Damit ist NICHT gemeint, dass man beim Singen nicht artikulieren soll… Oder die Lippen gar nicht bewegen darf… Die Lippen dürfen ihre Arbeit machen, keine Sorge. Aber wir überbetonen diese Arbeit nicht. Wir fokussieren bei Vokalen vor allem auf die Zungenposition zum Beispiel. Wir können auch ein U singen, ohne dass wir die Lippen extrem nach vorne bringen – so wie Bauchredner zum Beispiel. Es macht beim Singen aber nicht immer Sinn… In hohen bzw. extremen Lagen wird dieser Faktor aber bedeutsamer – abhängig vom Klang, vom Vokaltraktsetting. Aber solange du beim Singen nicht konstant deine Lippen irgendwie spezifisch anspannst, soll dich dieses Grundprinzip nicht weiter verwirren… Es lohnt sich in Extremlagen jedenfalls die Balance Zunge-Lippen in Betracht bei der Fehlersuche zu ziehen.

Es gibt Dutzende Grundprinzipien – und jede:r hat andere

Ich finde ja, jede:r Sänger:in sollte diese drei Grundprinzipien um seine eigenen Ergänzen. Also, wenn es darum geht, eigene hinderliche Gewohnheiten abzulegen. Für manche mag es sein: „Zungenwurzel-Spannung vermeiden“, für andere „Gesicht entspannen“, für wieder andere „Schultern senken“ oder whatever…. Grundprinzpien zielen aber wie gesagt nie auf den Klang im Sinne von Klanggestaltung. Alles was sie tun ist: einen gesunden Sound zu unterstützen bzw. erst einmal trag- und hörbar zu machen.

Das Versprechen, alle hohen und tiefen Töne innerhalb der Range zu erreichen, lange Phrasen zu singen, eine klare und kraftvolle Stimme zu haben und Heiserkeit zu vermeiden, mag zwar ein großes sein, aber es wird eingehalten. Wenn wir uns manchmal in technischen Details verlieren, ist es oft der Blick zurück zu den Basics, der uns Klarheit und Hilfe bringt. Deshalb: Wenn ihr euch in spezifisch-kniffligen Technik-Fragen quält, wagt ab und zu einen Blick in den Rückspiegel… Also ich meine – auf die Basics, auf die Grundprinzipien eben. #happyvocalfriday

Für alle, die sich jetzt denken: Hatte wir das Thema nicht schon mal im Blog? Richtig! Ich geb’s aber zu, ich hab das erst gesehen, bzw. mich wieder erinnert, nachdem der Text fertig war 🙂 Aber ich bin mir sicher, es waren neue Aspekte und Gedanken darin zu lesen. Also bitte verzeiht!
#52 Drei Tipps für Gesangsanfänger:innen

Diebe im Olymp – Das Percy-Jackson-Musical!

Das dürft ihr euch nicht entgehen lassen… Schließlich spiele ich den Teenager-Halbgott Percy Jackson höchstpersönlich. Ab 7. Mai im Theater im Neukloster, Wiener Neustadt. Und erzählt es allen Percy-Jackson- bzw. Musicalfans in eurer Bubble! #followerpower

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Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

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