#31 „Twang“ heißt das Zauberwort

Ohne ihn geht einfach nix. Seit sicher rund zwanzig Jahren hat sich das Wörtchen Twang von den Popsänger:innen ausgehend wie ein Lauffeuer in die Gesangsstunden dieser Welt vorgearbeitet. Dabei ist Twang (ausgesprochen „Tuääng“) jetzt nicht unbedingt eine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Die Klassiker:innen reden seit Jahrhunderten vom „Squillo“ oder vom „Ring“, dem „Kern“, vom „Ausfüllen“ eines Tones. Aber was heißt das – und was ist Twang? Und wofür ist Twang gut?

Die zwei roten Linien zeigen den Bereich des Kehldeckels, der Kreis (etwas unpräzise) jenen Ort wo Zunge und Rachen eine Rolle spielen. (c) pixabay.

Also der Name ist jedenfalls onomatopoetisch. So wie „Flip Flops“. Das Wort hat das Geräusch sozusagen schon in seine Bezeichnung eingebaut (bzw. ist nach dem Geräusch/Klang benannt). Der Ton wird klarer, im Extremfall ein bisschen quetschiger und „nerviger“. Ein vielleicht engerer Sound, ein strahlenderer Klang. Und da wären wir schon bei einem der größten Twang-Missverständnisse in der Welt der Gesangspädagogik. Twang ist eben nicht nur die Klang-Karikatur eines texanischen Countrysängers. Twang ist nicht 0 und 1 – also nicht nur ein An- und Aus-Schalter. Twang ist eine Zutat unseres Klanges, die wir „stufenlos“ beifügen oder reduzieren können.

Was zur Verwirrung beiträgt: Finden und üben können wir Twang natürlich über Klischee-Klänge (Ente, Schaf, Texas-Akzent), aber danach müssen wir lernen dieses Setting genauer formen und kontrollieren zu können. Also wir suchen (wie so oft) ein bisserl das extreme Setting einer Gesangszutat, bevor wir sie in kleiner Dosis anwenden können.

Was uns zur Frage bringt, was Twang jetzt anatomisch/akustisch eigentlich ist. Kurz gesagt: Wir verengen einen Teil unseres Vokaltrakts. Auf dem Weg von den Stimmbändern zum Mund passieren die Schallwellen eine Engstelle, eine Art Kompressionskammer, die den Klang verstärkt, verdeutlicht, klarer macht – bestimmte Frequenzen hervorhebt. Würden wir den Klang gar nicht komprimieren, würden wir den Ton gar nicht klingend nach außen transportieren können. Er würde „unterwegs verloren gehen“, salopp gesagt. Wir brauchen einen „notwendigen Twang“ beim Singen. Immer. Also nicht nur in Broadway-Balladen in den Mörder-Belt-Tönen und bei Countrysong-Karikaturen. Mit dem Begriff des „notwendigen Twangs“ hat die Complete Vocal Technique etwa einen Begriff geprägt, der verdeutlichen soll, dass Twang eben immer Teil des Rezeptes ist. (Wir setzen Twang also ein, ohne dass wir es vielleicht wissen). Auf der anderen Seite der Twang-Skala steht der „deutliche/distinguierte Twang“, auf Englisch ein bisschen treffender „distinct Twang“. Da wären wir dann sozusagen beim Schaf-Sound, beim Countrysänger. Bäh. Also geben wir mehr oder weniger Twang in unseren Klang? Das ist unsere Wahl.

Kehldeckel, AES, Kehlkopftrichter

Jetzt habe ich mich recht allgemein gehalten, wenn ich über „eine Verengung im Vokaltrakt“ schreibe. Genauer gesagt geht es um eine Region unmittelbar auf/über dem Kehlkopf: Kehldeckel (Epiglottis) und Membranen rundherum verengen den „Tonausgang“. Estill Voice Training ist da mit dem „Aryepiglotic Sphincter“ ein wenig konkreter – wortwörtlich „der über der Epiglottis sitzende Schließmuskel“. Wir machen die Öffnung über den Stimmbändern in Richtung Kehldeckel im Kehlkopf weiter oder enger.

Die Frage ist, ob das schon alles ist? Also ist Twang ausschließlich eine Sache von Epiglottis und Umgebung – also AES? Denn auch hinterer Rachen und Zunge dürften eine wesentliche Rolle spielen, wenn man etwa Kerry Obert zuhört, die sich seit Jahren mit dem Thema Twang auseinandersetzt und deren Beiträge, Papers und Youtube-Interviews und Co ich gerne ansehe, wenn sie mir in meine Feeds gespült werden. Dass hier Elemente zusammenspielen, ergibt in meinem Empfingen auf jeden Fall Sinn.

Und wie immer bei Anatomie: Ob ich als Sänger:in jetzt weiß, was mein linkes Stellknorperl (Arytenoid) macht, ist vermutlich (für viele) unerheblich, solange ich eine konkrete Idee, ein Tool habe, einen Klang zu erzeugen, der sich gut anfühlt und der mir gefällt. Und diese Werkzeuge und Tricks gehen eher den Weg über Soundbeispiele oder bestimmte Settings der Zunge und des Rachens. Wo Zunge wichtig ist, sind Vokale es auch. Denn eines geht nicht ohne das andere. Nicht umsonst üben wir Twang auf „ä“ oder „eh“, „ee“ oder maximal „öh“. Die breiter geführte und hinten eher hochgestellte Zunge hilft beim Twang einfach ungemein. Ein „u“ wie in U-Bahn „zu twangen“ ist hingegen etwas unzugänglicher… Mit der hohen Zunge, die sich breit macht, haben wir auf Twang möglicherweise eher Zugriff. Die Zunge ist ein leichter zu erfassendes und anzusteuerndes Steuerelement für Twang, als der Kehlkopfdeckel. Manchen hilft auch das Bild „eine Erbse zwischen hinterer Zunge und Rachen zu halten“. Diesen Raum also eng zu halten.

Twang vs. Nasalität – das große Missverständnis

Wenn wir wieder zurück zum Klischee-Twang gehen, der Klischee-Country-Sängerin zum Beispiel. Viele Sänger:innen interpretieren den Klang als nasal, was aber absolut nicht richtig ist. Twang und Nasalität haben faktisch nichts miteinander zu tun. Beim Finden von helleren, kräftigeren Sounds passiert es allerdings vielen Sänger:innen, dass sie nasal singen, wenn sie den Klang nicht gewohnt sind. Das ist prinzipiell ja nichts Verwerfliches, generell nimmt Nasalität aber eher Power, der Ton wird eine Spur dumpfer. Twang geht ohne Probleme auch ohne Öffnung des Nasengangs. Das sollte man von Anfang an gut kontrollieren, um später nicht aus Gewohnheit im nasalen Klang „gefangen zu sein“, wenn man etwas twangier singen möchte.

Ich habe ja ganz oben schon geschrieben, dass Twang auch in der Klassik (in verschiedenen anderen Bezeichnungen) im Einsatz ist. In diesem Genre streben Sänger:innen im Allgemeinen einen ausgeglicheneren Sound und vor allem durchgängig dünklere Klangfarbe an. Doch nur mit „offener Kehle“ allein wird’s nicht funktionieren, ein ganzes Orchester unverstärkt zu übertönen. Ohne akustische Tricks im Vokaltrakt wäre das ein zum Scheitern verurteilter Kraftakt. Auch Klassiksänger:innen setzen auf Twang, auf Verengung an den richtigen Stellen, um die wesentlichen Frequenzen so hervorzuheben, dass sie über das Orchester tönen können. Denn funktioniert die Klang-Kompression, sitzt die Kehlkopftrichter-Verengung an der richtigen Stelle, mag es sich nach einem „freien Ton“ anfühlen, was manche als „offene Kehle“ interpretieren. Aber das ist eben das Problem der Gesangspädagogik. Jede*r nimmt Worte anders wahr und setzt sie für sich anders um. Und es klingt dann nicht nach „Schaf“ oder „Country“. Die dunkle Klangfarbe tarnt ein bisschen, aber der Ton ist dennoch durchdringend und klar, mit „Kern“.

Twang ist ein wesentliches Werkzeug zu einer tragfähigen Stimme

Jedenfalls – um zusammenzufassen: Twang ist nicht nur das Klischee. Twang ist ein wesentliches Werkzeug zu einer tragfähigen Stimme. Twang ist nicht „an“ oder „aus“, Twang ist ein „von bis“, das wir einsetzen können – auch in dunkleren Klangfarben. Leichter fällt uns Twang auf helleren Vokalen. Es geht anatomisch gesehen um eine Verengung des Kehlkopftrichters und des Vokaltrakts an den richtigen Stellen. Mit der Zunge haben wir da einen wesentlichen Player, den wir gut ansteuern können, auch wenn Twang vielleicht großteils mithilfe des Bereichs Kehldeckel und AES gemacht wird. Und weil wir Sänger:innen immer viel von „Resonanz“ reden: Auch hier spielt meistens das Gefühl von richtigem Einsatz von „Twang“ eine Rolle. Wie kann ich die Frequenzen hervorhebe, die es mir leichter machen, den Ton „zu tragen“, dass der Ton „sitzt“.

Hier noch Link zum Podcast von John Henny, unlängst mit Kerry Obert zum Thema Twang. Generell ein spannender Podcast für Vocal-Geeks und alle, die gerne was über Stimme und Singen wissen möchten.

Bis bald!

Veröffentlicht von Klemens Patek | vocalfriday

Vocal Coach | Sänger - Frage drei Gesangslehrer und du bekommst vier Antworten. Hier bekommst du die fünfte ;) Bei mir geht's ums Singen, um Gesangstechnik, um CVT (Complete Vocal Technique) und Themen wie Achtsamkeit, Selbstvertrauen und Künstlersein. Bin gespannt, wohin mich die Reise führt. Das wichtigste für mich: Respekt und freundschaftlicher Austausch. Bashing anderer Künstler oder Coaches liegt mir fern. Mein Motto: Richtig ist, was dem/der Sänger*in gut tut und konkret weiterhift!

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