Also meine Liebe zum Musical kennt ihr ja. Auch wenn’s mich stilistisch mehr zu pop-rock-lastigeren Stücken zieht (wenn ich’s mir aussuchen kann, auch lieber mit heutigeren Stoffen/Themen), muss ich an dieser Stelle noch mal eine explizite Empfehlung für das Musical „Rebecca“ aussprechen. Wer sich für Musicals (und Musical-Gesang) interessiert, hat bei der Cast im Wiener Raimundtheater eine Gelegenheit, diese Kunst auf höchstem Niveau zu erleben. Und die Kunst der brennenden Riesen-Wendeltreppe natürlich. Ich habe nach der Premiere – die Kritik dazu könnt ihr hier nachlesen, sofern ihr zahlende „Presse“-Abonennt:innen seid… – am vergangenen Mittwoch (16.11.) eine weitere Vorstellung besucht. Und heute ein paar Gedanken dazu, die die „Presse“-Leser:innen eher weniger interessiert hätte…

Es ist mehr „Neutral“ dabei, als man glauben mag
Wenn man sich oberflächlich mit der Gesangstechnik von Musical-Darstellenden beschäftigt, stößt man ziemlich rasch auf die Thematik „Belting“, das sind diese lauten, schmetternden, kräftigen Töne, die im Blog eh ständig wiederkehren. (In Rebecca-Rollen gesprochen wären wir hier eher bei Mrs. Danvers). Was mir beim Zusehen das letzte Mal durch den Kopf gegangen ist, ist aber, wie viel „Neutral“ vor allem zum Beispiel Nienke Latten als „Ich“ verwendet bzw. die Rolle auch benötigt. Und wir reden hier nicht von Kopfstimme. „Neutral“ ist einer der vier Modes bei CVT (Complete Vocal Technique). Ein Mode – also ein Vokaltraktsetting mit einem spezifischen Klang (das eine bedingt das andere…) – der keinen „metallischen Anteil“ im Klang hat. Aber das heißt nicht, dass es unbedingt leise sein muss – oder gar zerbrechlich/zart. Alle, die das schon einmal ausprobiert haben, wissen vielleicht: Ein hoher Bruststimm-Ton, der nicht explizit „gebeltet“ wird, braucht womöglich viel mehr Technik/Übung/Power, als eine gut dahingeschmetterte Belting-Note.
Und für mich ist Nienke Latten hier echt ein Genuss zum Zuhören. Wie sie wirklich mühelos in den CVT-Modes Neutral und Curbing (wenn ein metallischer Anteil dazu gekommt, der Ton aber etwas zurückgehalten, ein bisserl „raunzig“ klingt – im positiven Sinne) singt und ihre Übergänge in die Kopfstimme soooo charmant und absolut unauffällig gestaltet – der Wahnsinn. Viele Gesangswelt-Menschen würden den Sound, den ich hier als „Neutral“ bis „Curbing“ bezeichne, evtl. als „Mix-Belt“ bezeichnen. Das triffts ja irgendwie eh auch ganz gut 🙂 Aber ich habe ja bei diesen Mix-Begriffen immer das Problem, dass sie den Eindruck transportieren, es gebe eine Art dritte Grundfunktion in den Stimmbändern. Vom Klang her (und für viele ja wohl auch vom Spüren her) ergeben sie manchmal aber durchaus Sinn.
Andere wiederum sagen Mix-Belt evtl. wiederum nur zu Kopfstimmstönen, die „brustig“ klingen. Es lebe die Definition von Klängen… (Deswegen mag ich CVT ja so…) Fast alle „Ich“-Soli singt die niederländische Darstellerin in diesem Setup (nach meiner bescheidenen Einschätzung halt… 🙂 ) Und wenn dann ein Ton in der Höhe ein bisserl zarter sein darf/muss – oder es die Lage einfach erfodert, wechselt sie elegant in einen klaren, hellen (unluftigen) Kopfstimmton. Ohne dass man, wenn man jetzt nicht gerade total darauf achtet, das vielleicht sogar merken würde. Und für metallische Klänge muss man in der Rolle der „Ich“ natürlich auch gewappnet sein. Wenn sie in der berühmten Fenster-Szene mit Mrs. Danvers „Rebecca“ im Duett singt, muss da schon ordentlich Power dahinter. Auch wenn’s gegen Danvers‘ Powerbelt da oben vielleicht manchmal untergeht.
Für das Genre Musical (das in sich natürlich auch sehr breit ist, ich weiß) gilt es, gerade wenn’s in Richtung weiblicher Hauptrolle geht, Kopf- und Bruststimme besonders elegant zu verbinden. Der Klang muss durchgängig sein. Die Kopfstimme darf nicht plötzlich hauchig sein oder auch plötzlich dunkel mit klassischem Setup. Aber wie gesagt: Alles eine Frage des Stücks und manchmal natürlich auch des Geschmacks.
Ab dem E5 wird (bewusst oder unbewusst) die Lautärke im Belting meistens reduziert
Was man auch deutlich hören kann: Die Top-Noten, die die Rolle „Ms. Danvers“ da rausbeltet sind nicht so laut, wie man vielleicht glauben mag. Zwischen c5 und e5 können Frauenstimmen schon enorm laut belten, aber alles, was darüber hinausgeht, wird meistens ein bisserl „ausgedünnt“, „reduced“, „tilted“ – je nachdem welcher Systempädagogik man anhängt. In meinem Kopf jetzt zumindest grob alles dasselbe. Da wird nicht (bzw. selten) Full Density Edge rausgeplärrt (CVT-Mode). Da wird der Ton eher mit einem Anteil „Raunzen“, mit „Hold“ oder „Cry“ angesetzt. Um all diese Begriffe zu erklären, benötige ich wohl drei extra Blogeinträge…
Die Quintessenz für alle, die diesen Musicalsounds (die ja auch im Pop oft genug verwendet werden) nachjagen: Ab E5 müssen wir uns mit „reduced Density“ auseinandersetzen. Und es ist nicht eine Frage von ur laut und ur heavy. Sondern wie können wir den Sound verschlanken, ohne dem Klang den Grundcharakter zu nehmen (und gar in die Kopfstimme zu rutschen). Das ist jetzt für mich nicht unbedingt eine neue Erkenntnis, ist mir nur bei den Top-Notes von Mrs. Danvers wieder bewusst aufgefallen. Übrigens zufällig am 16.11. gab’s eine sehr gelungene Premiere von Marle Martens als Mrs. Danvers in dieser Show, die auch genau weiß, was sie tut. Auch wenn ich wirklich ein großer Fan von Willemijn Verkaik bin, die Erstbesetzung von Mrs. Danvers ist. Musicalbelting on point – und nicht nur guter Gesang 🙂
Weil zuerst noch der Begriff Disney-Prinzessin gefallen ist – und wie die klingt. Da hat das Social-Media-Team von Estill Voice Training unlängst ein kleines Soundvideo gepostet, wo man die verschiedenen Elemente erkennen und hören kann (https://fb.watch/g-eHo_KnxN/). Ich zweifle zwar ernsthaft an, dass das unbedingt immer „thin folds“ waren in der Demonstration, also „dünne Stimmbänder“, …aber ich bin auch kein Estill-Experte 🙂 Und ich hör‘ da in den hohen Tönen auch Kopfstimme, dies in der Estill-World nur so halb gibt…. Aber wie dem auch sein, abgesehen von den Begrifflichkeiten, find ich’s schon ganz cool, wie man da mit den Estill-Elementen den Sound nachbaut. Bei CVT würden wir das ganz ähnlich mit anderen Begriffen machen. Ich würde meinen: Neutral mit viel Twang und bei der Zungenposition sind wir uns da auch einig 🙂 Wie bin ich jetzt zu Disney-Prinzessin gekommen? Ah, naja es ist nicht seeehr weit weg von „Ich“ in „Rebecca“ 🙂 Ein bisserl weniger Twang und ein bisserl mehr metallische Sounds. Klar soweit?
Programm Safer SiXmas
Sa 26. November, 19.30 Uhr, Theresiensaal Mödling
So 27. November, 18 Uhr, Theresiensaal Mödling
So 4. Dezember, 19 Uhr, Erlöserkirche Wiener Neustadt
Fr 9. Dezember, 19.30 Uhr, Volksschule Unterhöflein
Ticket-Infos und weitere Termine:
www.safersix.at
